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Bitte um Vertagung des Gesetzesvorhabens zur Schaffung eines Religionsgemeinschaftengesetzes (RelGG) im Fürstentum Liechtenstein, Schreiben vom 3. April 2024

Sehr geehrter Herr Präsident des Liechtensteinischen Landtags,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!


Zuerst möchte ich mich ganz herzlich für Ihre grossen Bemühungen für die Religionsgemeinschaften in Liechtenstein bedanken. Besonders danke ich Ihnen für die vielen wertschätzenden und unterstützenden Gespräche, die ich mit vielen von Ihnen in den vergangenen Wochen und Monaten führen konnte.


Ich wende mich heute an Sie hinsichtlich Ihres Vorhabens, die Liechtensteinische Verfassung zu ändern und ein Religionsgemeinschaftengesetz zu schaffen. Es ist — und das ist mir wichtig zu betonen — aus der Sicht der Kirche ausser Streit zu stellen, dass auch andere Kirchen und Religionsgemeinschaften die Möglichkeit haben sollen, sich öffentlich-rechtlich zu organisieren und die diesbezüglich bestehende Ungleichheit beseitigt wird. Die Grundintention des RelGG wird daher ausdrücklich auch von uns begrüsst.


Ich habe eine Liechtensteinische Kanzlei gebeten, jene Aspekte der anstehenden Reform, die in besonderer Weise die Katholische Kirche betreffen, herauszuarbeiten und zusammenzufassen. Ich möchte Ihnen anhand nachfolgender Punkte in geraffter Form darlegen, worin seitens des Erzbistums die Bedenken in Bezug auf eine zum Teil massive Verschlechterung der bisherigen Position der Katholischen Kirche bestehen:

  • Art. 16 Abs. 1 der Landesverfassung wird dahingehend geändert, dass die bisherige Unantastbarkeit der kirchlichen Lehre im Zusammenhang mit dem Erziehungs- und Unterrichtswesen ersatzlos gestrichen wird. Wir erblicken darin einen Wertungswiderspruch zu dem in Art. 37 LV postulierten Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit — gerade eine ersatzlose Streichung ist als politisches Signal des Gesetzgebers zu verstehen.
  • Art. 16 Abs. 4 der Landesverfassung sieht vor, dass der Religionsunterricht durch die kirchlichen Organe erteilt wird. Dies wird ersatzlos gestrichen. Eine zusätzliche Schlechterstellung ergibt sich aus dem Umstand, dass der konfessionelle Religionsunterricht in Zukunft kein Pflichtfach, sondern ein Alternativangebot sein soll, das neu nur wahlweise zur Verfügung gestellt werden soll. Es liegt im Interesse aller zukünftig staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften, die Erteilung des konfessionellen Religionsunterrichts als Recht und nicht bloss als Kann-Bestimmung zu formulieren. Konsequenterweise sollte für alle anerkannten Religionsgemeinschaften beim konfessionellen Religionsunterricht das Opt-out-Prinzip anstelle des jetzt vorgesehenen Opt-in-Prinzips vorgesehen werden. Es versteht sich, dass im Verordnungswege eine zu erreichende Mindestschüleranzahl festgelegt werden kann.
  • Art. 38 der Landesverfassung sieht im Zusammenhang mit dem Kirchengut bisher das Einvernehmensprinzip mit den kirchlichen Behörden vor. Dieses Einvernehmensprinzip wird ersatzlos gestrichen. Ich gestatte mir den Hinweis, dass ein einseitiges Abgehen vom Einvernehmensprinzip verfassungsrechtlich problematisch ist. Ich erachte es auch als sehr kritisch, dass das in den letzten 20 Jahren seitens des Landes leider erfolglos gebliebene Bemühen, eine vermögensrechtliche Entflechtung zwischen Kirchengut und Gemeindevermögen zu erzielen, nun einseitig der Kirche auferlegt werden soll. Es darf bezweifelt werden, dass durch die angestrebten privatrechtlichen Vereinbarungen eine dauerhafte Lösung der damit verbundenen Fragen erreicht werden kann.
  • Die Finanzierung der Aufgaben des Erzbistums ist bereits jetzt nicht in dem vom CIC vorgesehenen Umfang möglich. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass auf der Basis des Gesetzesentwurfes auch in Zukunft keine ausreichende Finanzierung gewährleistet sein wird, da mit dem vorgesehenen jährlichen Fixum weder die Versorgung des Klerus (soweit er sich nicht in einem Anstellungsverhältnis zu einer Gemeinde befindet) noch die Finanzierung eines Mindestmasses an Organisationsstruktur, die das Gehalt des Erzbischofs, des Generalvikars oder die Führung eines Sekretariates miteinschliesst, bestritten werden kann.

Diese kurze Zusammenschau macht deutlich, dass es sich bei dieser Gesetzesänderung um eine weitreichende Entscheidung handelt, die auch die Zukunft des Erzbistums und der Katholischen Kirche in Liechtenstein in nicht unerheblichem Masse betrifft. So möchte ich Sie dringend bitten, diese Frage auch mit dem neu zu ernennenden Erzbischof zu besprechen und ihm die Möglichkeit zu geben, sich in die Diskussion einzubringen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es so gelingen wird, eine für alle vom Re1GG betroffenen Seiten zukunftsfähige Lösung zu erarbeiten. Aus diesem Grund ersuche ich Sie höflich, das Traktandum dieses Gesetzvorhabens zurückzustellen. So wie ich die Kultur hier in Liechtenstein dankbar erleben darf, geht es wohl auch in dieser Frage darum, mit jemandem — in diesem Fall mit der Katholischen Kirche als Institution und dem neuen Erzbischof als ihrem Vertreter — einen gemeinsamen Weg zu gehen und nicht gleichsam in Abwesenheit eine Entscheidung zu treffen, die ihn für viele Jahre binden wird.

Ich hoffe sehr auf Ihr Verständnis und bin natürlich sehr gerne für jedes Gespräch bereit. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit im Landtag und für die Menschen in Liechtenstein.


Mit freundlichen Grüssen


Dr. Benno Elbs
Apostolischer Administrator des Erzbistums Vaduz
Vaduz, 3. April 2024


Ergeht zur Information an:
S.D. Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein
Regierungschef Dr. Daniel Risch
S.E. Dr. Martin Krebs, Apostolischer Nuntius

Bitte um Vertagung des Gesetzesvorhabens zur Schaffung eines Religionsgemeinschaftengesetzes im Fürstentum Liechtenstein, Schreiben vom 9. März 2024

Sehr geehrter Herr Präsident des Liechtensteinischen Landtags,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!


Zuerst möchte ich mich ganz herzlich für Ihre grossen Bemühungen für die Religionsgemeinschaften in Liechtenstein bedanken. Besonders danke ich Ihnen für die vielen wertschätzenden und unterstützenden Gespräche, die ich mit vielen von Ihnen in den vergangenen Wochen und Monaten führen konnte.


Ich wende mich heute an Sie hinsichtlich des Vorhabens, die Liechtensteinische Verfassung zu ändern und ein Religionsgemeinschaftengesetz zu schaffen. Es ist – und das ist mir wichtig zu betonen – aus Sicht der Kirche zu begrüßen, dass auch andere Kirchen und Religionsgemeinschaften die Möglichkeit haben sollen, sich öffentlich rechtlich zu organisieren und die diesbezüglich bestehende Ungleichheit beseitigt wird.


Zugleich ist das gegenständliche Gesetzesvorhaben auch für die Katholische Kirche mit massiven Veränderungen verbunden.


Da es sich bei dieser Gesetzesänderung um eine grosse Entscheidung handelt, die auch die Zukunft des Erzbistums und die Katholischen Kirche in Liechtenstein stark betrifft, halte ich es für sinnvoll, wenn auch dem zukünftigen Erzbischof die Möglichkeit eingeräumt werden könnte, sich in die Diskussion aktiv einzubringen. Aus diesem Grund ersuche ich Sie höflich, das Traktandum dieses Gesetzesvorhabens bis zur Ernennung eines neuen Erzbischofs einstweilen zurückzustellen.

Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Kultur des Dialogs und des Miteinanders, die ich während meiner Zeit als Apostolischer Administrator bisher erfahren durfte. Darum hoffe ich auf Ihr Verständnis und bin natürlich sehr gerne für jedes Gespräch bereit. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit im Landtag und für die Menschen in Liechtenstein.


Mit freundlichen Grüssen


Dr. Benno Elbs
Apostolischer Administrator des Erzbistums Vaduz
Vaduz, 9. März 2024

 


Ergeht zur Information an:
S.D. Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein
Regierungschef Dr. Daniel Risch

Botschaft des Heiligen Vaters für die Fastenzeit 2024: "Durch die Wüste führt Gott uns zur Freiheit"

Liebe Brüder und Schwestern!


Wenn unser Gott sich offenbart, teilt er Freiheit mit: »Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus« (Ex 20,2). So beginnen die Zehn Gebote, die Mose auf dem Berg Sinai übergeben worden sind. Das Volk weiß gut, von welchem Auszug Gott spricht: Die Erfahrung der Sklaverei steckt ihm noch in den Gliedern. Es empfängt die zehn Gebote in der Wüste als einen Weg der Freiheit. Wir nennen sie „Gebote“ und betonen die Kraft der Liebe, mit der Gott sein Volk erzieht. Dieser Ruf zur Freiheit ist in der Tat ein kraftvoller Ruf. Er erschöpft sich nicht in einem einzigen Ereignis, vielmehr reift er im Verlauf eines Weges. So wie das Volk Israel in der Wüste immer noch Ägypten in sich trägt – es trauert nämlich oft der Vergangenheit nach und murrt gegen den Himmel und gegen Mose –, so trägt das Volk Gottes auch heute erdrückende Bindungen in sich, die es hinter sich lassen muss. Das merken wir, wenn es uns an Hoffnung fehlt und wir durch das Leben ziehen wie durch eine Einöde, ohne ein verheißenes Land, auf das wir gemeinsam zustreben können. Die Fastenzeit ist die Zeit der Gnade, in der die Wüste wieder – wie der Prophet Hosea verkündet – zum Ort der ersten Liebe wird (vgl. Hos 2,16-17). Gott erzieht sein Volk, damit es aus seiner Versklavung herauskommt und den Übergang vom Tod zum Leben erfährt. Wie ein Bräutigam zieht er uns wieder neu an sich und flüstert uns Worte der Liebe ins Herz.


Der Auszug aus der Sklaverei in die Freiheit ist kein abstrakter Weg. Damit auch unsere Fastenzeit konkret wird, besteht der erste Schritt darin, die Wirklichkeit sehen zu wollen. Als der Herr im brennenden Dornbusch Mose zu sich holte und mit ihm sprach, offenbarte er sich sogleich als ein Gott, der sieht und vor allem zuhört: »Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne sein Leid. Ich bin herabgestiegen, um es der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen« (Ex 3,7-8). Auch heute dringt der Schrei so vieler unterdrückter Brüder und Schwestern zum Himmel. Wir sollten uns fragen: Dringt er auch bis zu uns vor? Rüttelt er uns auf? Berührt er uns? Viele Faktoren entfernen uns voneinander und verleugnen die Geschwisterlichkeit, die uns ursprünglich miteinander verbindet.


Auf meiner Reise nach Lampedusa bin ich der Globalisierung der Gleichgültigkeit mit zwei Fragen begegnet, die immer mehr an Aktualität gewinnen: »Wo bist du?« (Gen 3,9) und »Wo ist […] dein Bruder?« (Gen 4,9). Unser Weg in der Fastenzeit wird ein konkreter sein, wenn wir uns beim erneuten Hören dieser Fragen eingestehen, dass wir noch heute unter der Herrschaft des Pharao stehen. Es handelt sich um eine Herrschaft, die uns erschöpft und gefühllos werden lässt. Es handelt sich um ein Wachstumsmodell, das uns spaltet und uns die Zukunft raubt. Es verunreinigt die Erde, die Luft und das Wasser, aber auch die Seelen werden dadurch kontaminiert. Wenn auch mit der Taufe unsere Befreiung begonnen hat, so bleibt in uns doch ein unerklärliches Heimweh nach der Sklaverei. Es ist wie ein Angezogensein von der Sicherheit des bereits Gesehenen, zu Lasten der Freiheit.


Ich möchte euch auf ein nicht unwichtiges Detail in der Exodus-Erzählung hinweisen: Gott ist es, der sieht, der gerührt ist und der befreit; es ist nicht Israel, das darum bittet. Der Pharao löscht nämlich sogar die Träume aus, er stiehlt den Himmel, er lässt eine Welt als unveränderlich erscheinen, in der die Würde mit Füßen getreten wird und echte Verbindungen verweigert werden. Es gelingt ihm also, die Menschen an sich zu binden. Fragen wir uns: Ersehne ich eine neue Welt? Bin ich bereit, mich von den Kompromissen mit der alten Welt zu lösen? Das Zeugnis vieler Mitbrüder im Bischofsamt und einer großen Zahl von Menschen, die sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen, überzeugt mich mehr und mehr davon, dass ein Mangel an Hoffnung konstatiert werden muss. Es handelt sich um ein Hemmnis für Träume, um einen stummen Schrei, der bis in den Himmel reicht und das Herz Gottes berührt. So ähnlich wie jenes Heimweh nach der Sklaverei, das Israel in der Wüste lähmt und am Weiterkommen hindert. Der Auszug kann unterbrochen werden:

Anders lässt es sich nicht erklären, warum eine Menschheit, die die Schwelle zur weltweiten Geschwisterlichkeit und einen wissenschaftlichen, technischen, kulturellen und juristischen Entwicklungsstand erreicht hat, der in der Lage ist, allen Menschen ihre Würde zu garantieren, im Dunkel der Ungleichheiten und der Konflikte herumtappt.


Gott ist unserer nicht überdrüssig. Nehmen wir die Fastenzeit an als kraftvolle Gnadenzeit, in der sein Wort wieder neu an uns ergeht: »Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus« (Ex 20,2). Es ist eine Zeit der Umkehr, eine Zeit der Freiheit. Jesus selbst wurde vom Geist in die Wüste getrieben, um in seiner Freiheit auf die Probe gestellt zu werden, wie wir uns jedes Jahr am ersten Sonntag der Fastenzeit in Erinnerung rufen. Vierzig Tage lang wird er vor uns und bei uns sein: Er ist der menschgewordene Sohn. Anders als der Pharao will Gott keine Untergebenen, sondern Söhne und Töchter. Die Wüste ist der Raum, in dem unsere Freiheit zu einer persönlichen Entscheidung heranreifen kann, nicht wieder in die Sklaverei zu verfallen. In der Fastenzeit finden wir neue Urteilskriterien und eine Gemeinschaft, mit der wir uns auf einen noch nie zuvor beschrittenen Weg begeben können.


Das bringt einen Kampf mit sich: Das Buch Exodus und die Versuchungen Jesu in der Wüste berichten uns dies anschaulich. Denn der Stimme Gottes, der sagt: »Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden« (Mk 1,11) und »Du sollst neben mir keine anderen Götter haben« (Ex 20,3), stellen sich die Lügen des Feindes entgegen. Gefährlicher als der Pharao sind die Götzen: Wir könnten sie als seine Stimme in uns betrachten. Alles können, von allen anerkannt werden, allen überlegen sein: Jeder Mensch spürt in seinem Inneren die Verlockung dieser Lüge. Es ist ein alter Weg. Wir können uns in dieser Weise an Geld, an bestimmte Projekte, Ideen, Ziele, an unsere Position, an eine Tradition oder sogar an bestimmte Menschen binden. Statt uns in Bewegung zu versetzen, werden sie uns lähmen. Statt uns zusammenzubringen, werden sie uns gegeneinanderstellen. Es gibt jedoch eine neue Menschheit, die Schar der Kleinen und Demütigen, die dem Reiz der Lüge nicht nachgegeben haben. Während die Götzen diejenigen, die ihnen dienen, stumm, blind, taub und unbeweglich machen (vgl. Ps 114,4), sind die Armen im Geiste sogleich aufgeschlossen und bereit: eine stille Kraft des Guten, die Sorge trägt für diese Welt und sie erhält.


Es ist Zeit zu handeln, und in der Fastenzeit heißt handeln auch innehalten. Innehalten im Gebet, um das Wort Gottes aufzunehmen und innehalten wie der Samariter angesichts des verwundeten Bruders. Die Liebe zu Gott und zum Nächsten ist ein und dieselbe Liebe. Keine anderen Götter zu haben heißt, in der Gegenwart Gottes und beim Nächsten sein. Deshalb sind Gebet, Almosen und Fasten nicht drei voneinander unabhängige Tätigkeiten, sondern eine einzige Bewegung der Öffnung, der Entäußerung: raus mit den Götzen, die uns beschweren, weg mit den Abhängigkeiten, die uns gefangen halten. Dann wird das verkümmerte und vereinsamte Herz wiedererwachen. Verlangsamen und anhalten, also. Die kontemplative Dimension des Lebens, die uns die Fastenzeit auf diese Weise wiederentdecken lässt, wird neue Energien freisetzen. In der Gegenwart Gottes werden wir zu Schwestern und Brüdern, wir nehmen die anderen mit neuer Intensität wahr: Anstelle von Bedrohungen und Feinden finden wir Weggefährtinnen und Weggefährten. Dies ist der Traum Gottes, das Gelobte Land, auf das wir zugehen, wenn wir aus der Sklaverei aussteigen.


Die synodale Form der Kirche, die wir in diesen Jahren wiederentdecken und pflegen, legt nahe, dass die Fastenzeit auch eine Zeit gemeinschaftlicher Entscheidungen sein sollte, eine Zeit kleiner und großer Entscheidungen gegen den Strom, die den Alltag der Menschen und das Leben eines Stadtteils verändern können: die Einkaufsgewohnheiten, die Sorge für die Schöpfung, die Einbeziehung derjenigen, die nicht gesehen oder verachtet werden. Ich lade jede christliche Gemeinschaft ein, dies zu tun: ihren Gläubigen Augenblicke anzubieten, in denen sie ihre Lebensweise überdenken können; sich selbst die Zeit zu nehmen, um sowohl die eigene Präsenz innerhalb ihres Gebiets zu reflektieren wie auch den eigenen Beitrag, um ihn weiter zu verbessern. Wehe, wenn die christliche Buße so wäre wie jene, die Jesus damals betrübte. Er sagt auch zu uns: »Macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler! Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, dass sie fasten« (Mt 6,16). Vielmehr soll man Freude in den Gesichtern sehen, den Wohlgeruch der Freiheit wahrnehmen und jene Liebe freisetzen, die alles erneuert, angefangen bei den kleinsten und naheliegendsten Dingen. Dies kann sich in jeder christlichen Gemeinschaft ereignen.


In dem Maße, in dem diese Fastenzeit eine Zeit der Umkehr sein wird, wird die verstörte Menschheit einen Schub an Kreativität verspüren: das Aufleuchten einer neuen Hoffnung. Wie den jungen Menschen, die ich letzten Sommer in Lissabon getroffen habe, möchte ich auch euch sagen: »Sucht und riskiert. In diesem bedeutenden Augenblick der Geschichte sind die Herausforderungen enorm, das Klagen ist schmerzerfüllt – wir erleben einen dritten Weltkrieg in Stücken –, aber lassen wir uns auf das Risiko ein, zu denken, dass wir uns nicht in einem Todeskampf, sondern in einer Geburt befinden; nicht am Ende, sondern am Anfang eines großen Schauspiels. Und es erfordert Mut, dies zu denken« (Ansprache an die Studenten, 3. August 2023). Dies ist der Mut zur Umkehr, zum Ausstieg aus der Sklaverei. Der Glaube und die Liebe halten dieses kleine Kind Hoffnung an der Hand. Sie bringen ihr das Laufen bei und zugleich ist sie es, die die beiden nach vorne zieht.1


Ich segne euch alle und euren Weg durch die Fastenzeit.


Rom, Sankt Johannes im Lateran, 3. Dezember 2023, Erster Adventssonntag.

1 Vgl. C. PÉGUY, Das Tor zum Geheimnis der Hoffnung, Einsiedeln 42007, 14-16.

Politik der Empathie - Predigt des Apostolischen Administrators zur Eröffnung der Landtagsessionen

Der barmherzige Samariter, von dem wir gerade gehört haben, ist eine kraftvolle Geschichte. Sein Handeln ist so ausdrucksstark und einprägsam, dass er für den Inbegriff dessen steht, was das christliche Gottes- und Menschenbild ausmacht. Dieser Text ist so etwas wie die Verfassung der Kirche. Sich ganz dem Menschen zuwenden, selbst dann, wenn sich alle abwenden; keine Kosten und Mühen scheuen, wenn er verwundet ist und Hilfe braucht: Das ist das Lebensprogramm Jesu, das er von seiner Geburt bis zu seinem Tod und darüber hinaus gelebt hat. Das ist das Programm der Kirche, die in seinen Spuren unterwegs ist. Und ich möchte heute wagen hinzuzufügen: Der barmherzige Samariter kann auch ein Bild und noch mehr ein Vorbild sein für die Arbeit in der Politik, für Ihre Tätigkeit als Politikerinnen und Politiker und in der öffentlichen Verwaltung. Denn was uns – Kirche und Politik – verbindet, kommt im Handeln des barmherzigen Samariters in seiner höchsten Form zum Ausdruck: Es geht um das Wohl des Menschen – des Einzelnen und der Gesellschaft als Ganzer. Dieses gemeinsame Ziel möchte ich in zwei Punkten näher ausfalten.

1. Politik als „hervorragende Form der Nächstenliebe“
Papst Franziskus hat Wesen und Ziel der Politik einmal so beschrieben: „Wenn sie sich in grundlegender Achtung des Lebens, der Freiheit und der Würde des Menschen vollzieht, kann die Politik wirklich zu einer hervorragenden Form der Nächstenliebe werden.“  Politik ist, so Papst Franziskus, eine hervorragende Form der Nächstenliebe. Es ist ihre Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass Menschen in Würde und Freiheit leben können. Und sollten Menschen, aus welchen Gründen auch immer, im Straßengraben landen und auf Hilfe angewiesen sein, soll es Wege, Mittel und Organisationen geben, die ihnen zur Seite stehen.

Nächstenliebe ist ein Gegenprogramm zu allen Formen der Unterdrückung und des Missbrauchs von Macht. Das Wesen der Nächstenliebe liegt darin, dass es ihr immer um die anderen geht, nie um das eigene. Und dass sie auch dort nach Wegen zum Menschen sucht, wo es schwierig wird und alle Wege ins Abseits zu führen scheinen. Nächstenliebe ermutigt und spornt dazu an, Einmütigkeit anzustreben und so das Miteinander zu stärken. Wenn politisches Handeln von dieser Haltung beseelt und inspiriert ist, dann, meine ich, leistet es einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau und zur Einheit einer Gesellschaft, in der jeder Mensch seinen Platz findet.

2. Empathie, Grundlage des Zusammenlebens
Ich möchte, zweitens, nochmals zurückkommen auf das Beispiel des barmherzigen Samariters. Er steht, wie gesagt, für Jesus selbst. So, wie der Samariter sich um den verletzt im Straßengraben liegenden Mann kümmert, so sorgt sich Gott um jeden Menschen. Er geht nicht an uns vorüber, sondern schaut uns an, solidarisiert sich mit uns und schenkt Nähe und Zuwendung. Ein Wort sticht hier hervor. Während der Priester und der Levit den Mann zwar sahen, ihn aber keines Blickes würdigten und schulterzuckend weitergingen, heißt es beim Samariter: „Er sah ihn und hatte Mitleid.“ Mitleid – Empathie – macht den Unterschied. Die Fähigkeit, sich im Schicksal des Verwundeten wiederzuerkennen, öffnet das Herz des Samariters für die Not des Mannes im Straßengraben.

Mitleid ist, fürchte ich, nicht immer und überall eine Kategorie der Politik. Und doch meine ich, dass Mitleid auch hier eine Rolle spielen soll (wenn nicht sogar muss). Das beginnt bei der Art und Weise des persönlichen Umgangs über Parteigrenzen hinweg und soll sich natürlich vor allem in der Begegnung mit den Menschen zeigen. Mitleid meint jedoch nicht eine plumpe Form der Bemitleidung (im Sinn von: Du tust mir leid), sondern die Fähigkeit, sich – wie der Samariter – von der Situation des Mitmenschen treffen und im Innersten bewegen zu lassen. Nur wenn ich erschüttert bin von der Not, der Armut oder dem ungerechten Leid eines Mitmenschen, kann daraus auch die Motivation zum politischen Engagement erwachsen. Politik ist auch deshalb eine Form der Nächstenliebe, weil sie Antworten auf Unrecht und Unfreiheit sucht und Lösungswege anbietet, die die Lebensumstände der Menschen verbessert. Empathie schafft Herzenswärme und eine Atmosphäre der Wertschätzung. Sie ist der Motor für Mitmenschlichkeit und der Nährboden für das Miteinander und letztlich für Frieden. Ohne Empathie, ohne Mitleid hingegen erkaltet das Klima einer Gesellschaft. Und ohne Empathie, so wage ich hinzuzufügen, bleibt auch Politik kühl und im letzten lebensfern – fern nämlich vom Leben all derer, die täglich zu kämpfen haben.

Liebe Schwestern und Brüder!
Ich möchte Ihnen für Ihre Arbeit in diesem Jahr das Beispiel des barmherzigen Samariters ans Herz legen. Er möge Ihnen ein Vorbild sein und Sie ermutigen, auf Menschen und Ihre Anliegen zu schauen. Und er möge Ihnen helfen, Ihre Arbeit als Form der Nächstenliebe zu leben, die allen Menschen in gleichem Maße Freiheit und Gerechtigkeit schenkt. Von Herzen danke ich Ihnen für Ihren Einsatz und für die Verantwortung, die Sie bereit sind zu tragen. Und ich danke Ihnen für die wertvollen Begegnungen und die vielen offenen Türen, die ich bei Ihnen immer wieder finde. Von Herzen wünsche ich Ihnen alles Gute, Gottes Segen und das, worum wir in diesem Gottesdienst besonders bitten: seinen Heiligen Geist, der tröstet, aufrichtet und uns zum Guten bereit macht.

Pfade der Hoffnung - Hirtenwort des Apostolischen Administrators Benno Elbs im Advent 2023

Liebe Schwestern und Brüder!

Wenn wir von unserem Leben sprechen, verwenden wir gerne Begriffe, die mit Bewegung zu tun haben. Man spricht dann von Unterwegs-Sein, vom Lebenslauf oder Lebensweg und vom stets neuen Aufbrechen. Früher nannte man es häufig auch Wanderschaft. So kennen wir es auch im Lied: „Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh‘ mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu.“

Auch die Kirche hat diese Bilder für sich wiederentdeckt. Papst Franziskus hat deshalb mit allen Gläubigen einen synodalen Weg begonnen. Das Wort Synode heißt: gemeinsam unterwegs sein oder miteinander einen Weg zurücklegen. Sich mit anderen auf den Weg machen, ist ein Bild für das Leben und den Glauben. Als Menschheit und besonders als Kirche sind wir gemeinsam unterwegs – auch mit „mancherlei Beschwerden“. Von denen gibt es im Moment wahrlich viele, aber genauso Freude, Zuversicht und Gottvertrauen.
 
Am 1. Adventssonntag machen wir uns auf und schauen auf Gott, der uns in der Geburt Jesu Lichtblicke für unser Leben schenkt. Ich möchte Euch heuer einladen, den Advent als einen Pfad der Hoffnung zu sehen: als einen Pfad, der die vielen Irrwege des Krieges, des Hasses und des Misstrauens wahrnimmt und uns dennoch Gott und unseren Mitmenschen näherbringt.  

Pfad der Hoffnung auf Heimat
Zuerst führe uns der Pfad der Hoffnung zur Freude über die Geburt Jesu. Dabei bestärke er uns in dem Vertrauen, im Unterwegs-Sein des Lebens auch Heimat finden zu können. Jeder Mensch braucht einen Ort, an dem er sich zu Hause fühlt und wo Geborgenheit spürbar wird. Das kann die eigene Familie sein, in der ich akzeptiert bin, aber zugleich auch herausgefordert werde, zu wachsen und mich zu entwickeln. Freundschaften gehören ebenso dazu wie ein Beruf, der Unterhalt und Sinn stiftet. Aber auch der Glaube, eine geistliche Gemeinschaft oder die Pfarrgemeinde sind Orte, wo Menschen sagen: Hier bin ich daheim.

Im Advent wird uns jedoch bewusst, dass diese Sehnsucht nach Heimat auch Gott selbst betrifft. Nicht nur wir möchten bei Gott Heimat finden, sondern auch Gott bei uns. Durch die Geburt Jesu wird Gott in unserer Welt heimisch. Wie der Knecht im Evangelium (vgl. Mk 13,33-37) warten auch wir darauf, dass Gott zu uns und in unser Leben kommt. Jede Pfarrei, jedes Haus, jede Familie, jeder Mensch sind mögliche Heimstätten Gottes. In der Menschwerdung Gottes wird wahr, was der hl. Augustinus so ausdrückt: Gott sorgt sich in seiner Liebe um jeden Menschen so, als gäbe es nur einen einzigen (vgl. Conf. III 11,19). Eine starke Ansage! Kann ich das glauben und darauf vertrauen? Ist Gott auch in meinem Leben daheim?

Pfad der Hoffnung zum Mitmenschen
Die Sehnsucht nach Heimat, die in unseren Herzen schlummert, soll uns auch zur Solidarität ermutigen mit den Menschen, die kein Zuhause haben: die Flüchtlinge und Vertriebenen, die Kranken und Alten, die Armen und all jene, die im geistigen Sinn obdachlos sind und sich nirgends zu Hause fühlen können. Wenn Gott mitten unter uns Heimat findet, dürfen wir nicht vergessen, ihn ebenso „draußen“ zu suchen. Draußen heißt außerhalb der Institution Kirche und des Bekanntenkreises. Draußen heißt bei den Armen, Kranken, Verzweifelten und überall dort, wo man Gott nicht vermuten würde. Der Advent möchte ein Pfad der Hoffnung sein, weil der Blick auf das Kommen des Kindes von Bethlehem unsere Herzen für die Not und die Sorgen der Menschen weit werden lässt.  

Abschließend hoffe ich mit Euch, dass sich im Advent viele Pfade der Hoffnung auftun. Ihr könnt darauf vertrauen, dass Gott auch in unserer verwundeten Welt und in Eurem Leben immer neu Heimat findet. So wünsche ich Euch und Euren Familien von Herzen einen gesegneten Advent.

 
+Benno Elbs
Apostolischer Administrator



Es wird gebeten, dieses Hirtenwort in allen Gottesdiensten des 1. Adventssonntags zu verlesen. Vielen Dank!