In der nächsten Ausgabe des Amtsblatts für das Erzbistum Vaduz "Vobiscum" (Nr. 15 / Juli 2023) wird folgendes Wort des Erzbischofs erscheinen:
Von gewisser Seite wurde seit geraumer Zeit mit einer geradezu peinlich anmutenden Insistenz, Penetranz und Arroganz auf jenen Tag hingewiesen, an dem ich mein 75. Lebensjahr vollenden werde, um damit deutlich zu machen, dass der 7. August 2023 gleichsam das Ablaufdatum meines Hirtendienstes als Diözesanbischof des Erzbistums Vaduz sein würde. Da war dann von einem “muss” des dem Papst gegenüber zu geschehenden Anerbietens des Amtsverzichts die Rede, so dass wohl für jedermann unübersehbar und unüberhörbar klar zum Ausdruck kommen sollte, dass es einigen hinlänglich bekannten Kritikern und Gegnern des Erzbischofs um einen nun doch längst fälligen Zeitpunkt geht, an dem dieser sein Dienstamt aufzugeben hat. Mancherseits hätte man es ohnehin gerne gesehen, wenn dies schon früher erreicht worden wäre; dazu fehlten auch diese oder jene – vor allem medienwirksame – Vorstösse nicht, die vor persönlichen Verunglimpfungen und unsachlichen Unterstellungen nicht zurückschreckten. Nun sind solche Machenschaften im Leben der Kirche und auch insgesamt in der menschlichen Gesellschaft nicht neu. Bosheiten, Verlogenheiten, Halbwahrheiten und Unwahrheiten beherrschen nicht selten sowohl zwischenmenschliche Bereiche als auch verschiedene Ebenen der breiteren Öffentlichkeit.
Für den gläubigen Christen und vor allem für jeden, der in der besonderen Nachfolge des Herrn steht, gilt stets, was Jesus den Seinen völlig realitätsbezogen gesagt hat: “Ein Jünger steht nicht über seinem Meister und ein Sklave nicht über seinem Herrn. Der Jünger muss sich damit begnügen, dass es ihm geht wie seinem Meister, und der Sklave, dass es ihm geht wie seinem Herrn” (Mt 10,24-25). Dies erklärte Jesus den Jüngern, nachdem er ihnen unverhohlen kundtat: “Ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden; wer aber bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet” (Mt 10,22). Auch im Johannesevangelium lesen wir, was Jesus den Seinen kundtut: “Wenn die Welt euch hasst, dann wisst, dass sie mich schon vor euch gehasst hat. Wenn ihr von der Welt stammen würdet, würde die Welt euch als ihr Eigentum lieben. Aber weil ihr nicht von der Welt stammt, sondern weil ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt. Denkt an das Wort, das ich euch gesagt habe: Der Sklave ist nicht größer als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen; wenn sie an meinem Wort festgehalten haben, werden sie auch an eurem Wort festhalten” (Joh 15,18-20). Und schliesslich äussert Jesus am Schluss seiner Seligpreisungen bei der Bergpredigt geradezu trostvoll: “Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um meinetwillen. Freut euch und jubelt: Denn euer Lohn wird gross sein im Himmel. So wurden nämlich schon vor euch die Propheten verfolgt” (Mt 5,11-12).
All das deutet darauf hin, dass für ein gottgefälliges Leben Festigkeit, Treue und Standhaftigkeit im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe unabdingbare Voraussetzungen sind. Das Christentum, somit das wahre katholische Christsein, ist keine Wellnesseinrichtung, die einer Wohlfühlmentalität frönt; es ist auch kein gemütlicher Sonntagsspaziergang im Naherholungsbereich, sondern wesentlich Kreuzesnachfolge in der Fernsicht und Aussicht auf das ewige Leben. Wer sich mit Leben und Lehre des Gottessohnes Jesus Christus verbindet und sich ihnen verpflichtet, der lebt im Horizont einer Weitsicht auf die Vollendung in Gottes Herrlichkeit. Er weiss sich auf die Antwort der erstrangigen Katechismusfrage verwiesen, die da lautet: Wozu sind wir auf Erden? Die Antwort könnte nicht einfacher, schöner und zugleich tiefgründiger sein: Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen, ihn zu lieben und ihm zu dienen und dadurch in den Himmel zu kommen. Und wenn dann noch – gut katholisch – gefragt wird: Was müssen wir tun, um in den Himmel zu kommen?, dann weiss ich keine bessere Antwort als diese: Um in den Himmel zu kommen, müssen wir an Gott glauben (d.h. liebend auf seine gütige Vorsehung vertrauen und alles für wahr halten, was Gott geoffenbart hat und durch die Kirche zu glauben lehrt), seine Gebote halten (d.h. sie als Liebesantwort auf Gottes Heilswillen leben) und die Gnadenmittel gebrauchen (d.h. würdig die heiligen Sakramente empfangen und auch gerne die Sakramentalien benutzen).
Im biblisch-christlichen Glaubensverständnis sind Wertebegriffe keine leeren Worthülsen, die je nach Belieben so oder anders gefüllt werden können. Sie sind vielmehr zum Vornherein inhaltlich klar gefüllt, namentlich etwa durch die Zehn Gebote und die Seligpreisungen sowie andere Anweisungen unseres Herrn in der Bergpredigt. Weitherum zirkulierende Worthülsen wie “Toleranz”, “Demokratie”, “Rechtsstaatlichkeit” sind im Allgemeinen wenig definiert und ideologieanfällig. Heisst “Toleranz” Standpunktslosigkeit oder Zustimmung zu allem und jedem? Ist “Demokratie” die einzig legitime Staats- oder Gesellschaftsform und sind sogenannte “demokratische Entscheide” immer wahrheitsgetreu? Kann man von “Rechtsstaatlichkeit” sprechen, wenn gewisse Gesetze dem Naturrecht widersprechen und widergöttlich sind? Dies sei hier nur einmal zur Nachdenklichkeit angesprochen.
Wie anders ist doch die Sicht aus der christlichen Perspektive! Der heilige Papst Leo der Große (✝ 461) hat in seiner zweiten Predigt zu Christi Himmelfahrt etwas sehr Grundsätzliches erklärt: “Was an unserm Erlöser sichtbar war, ist in die Sakramente eingegangen. Damit der Glaube vorzüglicher und fester wurde, trat an die Stelle des Sehens die Lehre, deren Autorität das Herz der Gläubigen, von überirdischen Strahlen erleuchtet, folgen soll. Dieser Glaube wurde durch die Himmelfahrt des Herrn gefördert und durch die Gaben des Geistes gestärkt. Keine Ketten, kein Gefängnis, keine Verbannung, nicht Hunger, nicht Feuer, kein Zerrissenwerden von wilden Tieren, keine Hinrichtung unter ausgesuchtesten Grausamkeiten der Verfolger konnte diesen Glauben schrecken. Für ihn kämpften auf dem ganzen Erdkreis nicht nur Männer, sondern auch Frauen, nicht nur unmündige Knaben, sondern auch zarte Mädchen bis zum Vergießen ihres Blutes. Dieser Glaube trieb Dämonen aus, heilte Krankheiten und weckte Tote auf.” Diese eindrückliche Betonung, wie weit ein echter Christ für seinen Glauben zu leiden imstande und bereit ist, nimmt uns alle in die Pflicht, die wir uns zu Christus Jesus, dem menschgewordenen Sohn Gottes und zu der von ihm gestifteten Kirche bekennen. Es kann nicht angehen, dass es Umformulierungen unseres stets gleichbleibenden Glaubensbekenntnisses gibt, die sich vom Inhalt des offiziellen Credos der Kirche entfernen oder Inhalte desselben verunklären. Wenn neuerdings eine Formulierung lautet: “Iter synodale auscultans est Ecclesia” – “Der hörende synodale Weg ist die Kirche” –, dann halte ich lehramtsgetreu dagegen: Die wahre Kirche Christi ist die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Alles, was sich von diesem stets gültigen Bekenntnis entfernt, gefährdet diese unveränderbaren Wesenseigenschaften der Kirche Jesu Christi. Somit lade ich alle ein, dem Taufgelöbnis und dem Glaubensbekenntnis unserer heiligen Kirche treu zu bleiben und auf dieser sicheren Glaubensgrundlage ein christliches Leben in Glaube, Hoffnung und Liebe zu führen.
Dieses Wort des Erzbischofs, das ich gleichsam als Verabschiedung im vorliegenden Vobiscum niederschreibe und das mitunter wie ein geistliches Testament klingen mag, richte ich voll Dankbarkeit und Zuversicht an die geneigte Leserschaft und erteile im Vertrauen auf die fortwährende Führung und Begleitung der himmlischen Mutter Maria, die mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Himmels erhoben ist, meinen erzbischöflichen Segen.
Schellenberg, 2. Juli 2023 (Mariä Heimsuchung)
✠ Wolfgang Haas
Erzbischof von Vaduz