Der barmherzige Samariter, von dem wir gerade gehört haben, ist eine kraftvolle Geschichte. Sein Handeln ist so ausdrucksstark und einprägsam, dass er für den Inbegriff dessen steht, was das christliche Gottes- und Menschenbild ausmacht. Dieser Text ist so etwas wie die Verfassung der Kirche. Sich ganz dem Menschen zuwenden, selbst dann, wenn sich alle abwenden; keine Kosten und Mühen scheuen, wenn er verwundet ist und Hilfe braucht: Das ist das Lebensprogramm Jesu, das er von seiner Geburt bis zu seinem Tod und darüber hinaus gelebt hat. Das ist das Programm der Kirche, die in seinen Spuren unterwegs ist. Und ich möchte heute wagen hinzuzufügen: Der barmherzige Samariter kann auch ein Bild und noch mehr ein Vorbild sein für die Arbeit in der Politik, für Ihre Tätigkeit als Politikerinnen und Politiker und in der öffentlichen Verwaltung. Denn was uns – Kirche und Politik – verbindet, kommt im Handeln des barmherzigen Samariters in seiner höchsten Form zum Ausdruck: Es geht um das Wohl des Menschen – des Einzelnen und der Gesellschaft als Ganzer. Dieses gemeinsame Ziel möchte ich in zwei Punkten näher ausfalten.
1. Politik als „hervorragende Form der Nächstenliebe“
Papst Franziskus hat Wesen und Ziel der Politik einmal so beschrieben: „Wenn sie sich in grundlegender Achtung des Lebens, der Freiheit und der Würde des Menschen vollzieht, kann die Politik wirklich zu einer hervorragenden Form der Nächstenliebe werden.“ Politik ist, so Papst Franziskus, eine hervorragende Form der Nächstenliebe. Es ist ihre Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass Menschen in Würde und Freiheit leben können. Und sollten Menschen, aus welchen Gründen auch immer, im Straßengraben landen und auf Hilfe angewiesen sein, soll es Wege, Mittel und Organisationen geben, die ihnen zur Seite stehen.
Nächstenliebe ist ein Gegenprogramm zu allen Formen der Unterdrückung und des Missbrauchs von Macht. Das Wesen der Nächstenliebe liegt darin, dass es ihr immer um die anderen geht, nie um das eigene. Und dass sie auch dort nach Wegen zum Menschen sucht, wo es schwierig wird und alle Wege ins Abseits zu führen scheinen. Nächstenliebe ermutigt und spornt dazu an, Einmütigkeit anzustreben und so das Miteinander zu stärken. Wenn politisches Handeln von dieser Haltung beseelt und inspiriert ist, dann, meine ich, leistet es einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau und zur Einheit einer Gesellschaft, in der jeder Mensch seinen Platz findet.
2. Empathie, Grundlage des Zusammenlebens
Ich möchte, zweitens, nochmals zurückkommen auf das Beispiel des barmherzigen Samariters. Er steht, wie gesagt, für Jesus selbst. So, wie der Samariter sich um den verletzt im Straßengraben liegenden Mann kümmert, so sorgt sich Gott um jeden Menschen. Er geht nicht an uns vorüber, sondern schaut uns an, solidarisiert sich mit uns und schenkt Nähe und Zuwendung. Ein Wort sticht hier hervor. Während der Priester und der Levit den Mann zwar sahen, ihn aber keines Blickes würdigten und schulterzuckend weitergingen, heißt es beim Samariter: „Er sah ihn und hatte Mitleid.“ Mitleid – Empathie – macht den Unterschied. Die Fähigkeit, sich im Schicksal des Verwundeten wiederzuerkennen, öffnet das Herz des Samariters für die Not des Mannes im Straßengraben.
Mitleid ist, fürchte ich, nicht immer und überall eine Kategorie der Politik. Und doch meine ich, dass Mitleid auch hier eine Rolle spielen soll (wenn nicht sogar muss). Das beginnt bei der Art und Weise des persönlichen Umgangs über Parteigrenzen hinweg und soll sich natürlich vor allem in der Begegnung mit den Menschen zeigen. Mitleid meint jedoch nicht eine plumpe Form der Bemitleidung (im Sinn von: Du tust mir leid), sondern die Fähigkeit, sich – wie der Samariter – von der Situation des Mitmenschen treffen und im Innersten bewegen zu lassen. Nur wenn ich erschüttert bin von der Not, der Armut oder dem ungerechten Leid eines Mitmenschen, kann daraus auch die Motivation zum politischen Engagement erwachsen. Politik ist auch deshalb eine Form der Nächstenliebe, weil sie Antworten auf Unrecht und Unfreiheit sucht und Lösungswege anbietet, die die Lebensumstände der Menschen verbessert. Empathie schafft Herzenswärme und eine Atmosphäre der Wertschätzung. Sie ist der Motor für Mitmenschlichkeit und der Nährboden für das Miteinander und letztlich für Frieden. Ohne Empathie, ohne Mitleid hingegen erkaltet das Klima einer Gesellschaft. Und ohne Empathie, so wage ich hinzuzufügen, bleibt auch Politik kühl und im letzten lebensfern – fern nämlich vom Leben all derer, die täglich zu kämpfen haben.
Liebe Schwestern und Brüder!
Ich möchte Ihnen für Ihre Arbeit in diesem Jahr das Beispiel des barmherzigen Samariters ans Herz legen. Er möge Ihnen ein Vorbild sein und Sie ermutigen, auf Menschen und Ihre Anliegen zu schauen. Und er möge Ihnen helfen, Ihre Arbeit als Form der Nächstenliebe zu leben, die allen Menschen in gleichem Maße Freiheit und Gerechtigkeit schenkt. Von Herzen danke ich Ihnen für Ihren Einsatz und für die Verantwortung, die Sie bereit sind zu tragen. Und ich danke Ihnen für die wertvollen Begegnungen und die vielen offenen Türen, die ich bei Ihnen immer wieder finde. Von Herzen wünsche ich Ihnen alles Gute, Gottes Segen und das, worum wir in diesem Gottesdienst besonders bitten: seinen Heiligen Geist, der tröstet, aufrichtet und uns zum Guten bereit macht.