Hirtenbrief zur Fastenzeit 2005

Ehre sei dem Blute Jesu!

Hirtenbrief zur Fastenzeit 2005 im “Jahr der Eucharistie” von Msgr. Wolfgang Haas, Erzbischof von Vaduz

(Der Hirtenbrief ist am 1. Fastensonntag, 12./13. Februar 2005, in allen Gottesdiensten vorzulesen. Er kann auch auf zwei Fastensonntage verteilt vorgetragen werden. Zur Veröffentlichung in der Presse ist er vom 14. Februar 2005 an freigegeben.)

Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

“Ihr wisst, dass ihr aus eurer sinnlosen, von den Vätern ererbten Lebensweise nicht um einen vergänglichen Preis losgekauft wurdet, nicht um Silber oder Gold, sondern mit dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel.”1 Der erste Petrusbrief spricht hier von einem Glaubenswissen, das heutzutage vielen völlig abhanden gekommen ist. Allzu viele wissen leider nicht mehr um diesen Lösepreis unserer Rettung. Sie setzen - auch wenn sie sich Christen nennen - auf Selbsterlösung und Selbstverwirklichung. Sie leben gerade nicht in jener jedem Chri­sten anstehenden Gewissheit, auf der unser Glaube an den Erlöser und an die Erlösung beruht: nämlich dass wir uns nicht selber erlösen können, sondern dass wir uns die Erlösung schenken lassen dürfen. Der Erste der Apostel mahnt uns somit zur Glaubensbereitschaft, zur Nüchternheit und zur Hoffnung auf die Gnade, die uns bei der Offenbarung Jesu Christi zuteil wird.2 Er schreibt daher  auch uns: “Seid gehorsame Kinder, und lasst euch nicht mehr von euren Begierden treiben wie früher, in der Zeit eurer Unwissenheit. Wie er, der euch berufen hat, heilig ist, so soll auch euer ganzes Leben heilig werden.”3 Die Berufung zur Heiligkeit ist allen Getauften gemeinsam. Sie ergibt sich aus der Taufgnade selbst. Sie wird durch diese grundgelegt und ermöglicht. Die Geschenkhaftigkeit dieser Berufung wird uns erst recht bewusst, wenn wir um jenen Loskauf wissen, den der Sohn Gottes selbst durch sein Erlöserleiden und seinen Erlösertod vollzogen hat. Er ist am Kreuz aus reiner Liebe für uns gestorben. Er hat bei seinem Leiden und Sterben sein Blut für uns vergossen. Er hat damit den Schuldschein getilgt, der gegen uns lautete - einen Schuldschein, der bis in die ferne Vorzeit der Erbsünde zurückreicht und alle menschliche Schuld umfasst. Sein Erlöserblut, das er für uns verströmt hat, ist unendlich kostbar. Silber und Gold, also materielle Werte jeder Art, auf die wir so oft unser Leben bauen, sind nichts im Vergleich zum kostbaren Blut unseres Herrn. Gerade wenn wir uns in das Geheimnis der Eucharistie vertiefen, werden wir der Kostbarkeit des Blutes Jesu inne, das nach der heiligen Wandlung wesenhaft und heilswirksam unter der Gestalt des Weines im Kelch gegenwärtig ist. “Das ist der Kelch des Neuen und Ewigen Bundes, mein Blut ...” - so beginnen die Wandlungsworte. “Das ist der Kelch meines Blutes, des Neuen und Ewigen Bundes ...” - so spric­ht Chris­tus durch den Priester. Die Erlöserliebe des Heilandes ist unbegrenzt; sein Heil ist allen angeboten. Doch nicht alle nehmen dieses Angebot an. Nicht wenige setzen durch ihre schweren Sünden, durch die Verstocktheit ihres Herzens und durch ihr ­Desinteresse der Wirk­samkeit der Erlöserliebe Jesu bei sich selbst Grenzen. So ist das kostbare Blut nach Gottes allgemeinem Heilswillen zwar allen zugänglich gemacht, aber es kann sich durch den persönlichen Widerstand nicht bei allen heilshaft auswirken. So ist es eben “für viele” vergossen und somit nicht “für alle” erlösend. Wir können nie genug die Mahnung des heiligen Paulus beherzigen, der da schreibt: “Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Tut dies, sooft ihr daraus trinkt zu meinem Gedächtnis! Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er komm­t. Wer also unwürdig von dem Brot isst und aus dem Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und am Blut des Herr­n. Jeder soll sich selbst prüfen; erst dann soll er von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken. Denn wer davon isst und trinkt, ohne zu bedenken, dass es der Leib des Herrn ist, der zieht sich das Gericht zu, indem er isst und trinkt.”4 Da ist bei uns allen ehrliche Gewissenserfor­schung angezeigt. “Wer sich einer schweren Sünde bewusst ist, muss das Sakrament der Busse empfangen, bevor er die Kommunion emp­fängt.”5 Dieses heilende Sakrament wird uns bei der persönlichen Beichte gespendet und ist die kostbare Gabe des Herrn und seiner Kirche, um uns dem Geheimnis des heiligen Leibes und des kostbaren Blutes Jesu Christi würdig zu nahen.

1. Wir bekennen das Geheimnis des kostbaren Blutes Jesu Christi.

Unser Katechismus lehrt uns: “Wer durch die Taufe zur Würde des königlichen Priestertums erhoben und durch die Firmung Christus tiefer gleichgestaltet worden ist, nimmt durch die Eucharistie mit der ganzen Gemeinde am Opfer des Herrn teil.”6 Mit den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils bekennt die Kirche: “Unser Erlöser hat beim Letzten Abendmahl in der Nacht, da er verraten wurde, das eucharistische Opfer seines Leibes und Blutes eingesetzt, damit dadurch das Opfer des Kreuzes durch die Zeiten hindurch bis zu seiner Wiederkunft fortdauere und er so der Kirche, der geliebten Braut, das Gedächtnis seines Todes und seiner Auferstehung anvertraue: als Sakrament des Erbarmens und Zeichen der Einheit, als Band der Liebe und österliches Mahl, in dem Christus genossen, das Herz mit Gnade erfüllt und uns das Unterpfand der künftigen Herrlichkeit gegeben wird.”7 Wir bekennen also mit der ganzen Kirche und in Übereinstimmung mit ihrer lebendigen Tradition, dass die Eucharistie das heilige Opfer ist, in dem auf unblutige Weise das einzigartige Opfer Christi, unseres Erlösers, der sein Leben am Kreuz für uns hingegeben und sein kostbares Blut für uns vergossen hat, vergegenwärtigt wird. Mit der Hingabe des eucharistischen Herrn an den himmlischen Vater vollzieht die Kirche fortwährend in der Kraft des Heiligen Geistes ihre Selbstdarbringung. Jeder von uns, der am eucharistischen Opfer teilnimmt, schenkt sich in Vereinigung mit dem sakramental gegenwärtigen Leib und Blut Christi dem Vater im Himmel. Anders ausgedrückt: Wir legen gewissermassen uns selbst und unsere Mitmenschen, unsere Anliegen und unsere Nöte, unsere Freuden und unsere Leiden, unsere Arbeit und unsere Mühen, ja sogar unser Sterben und unseren Tod auf die Patene und in den Kelch, die der Priester bei jedem heiligen Messopfer erhebt. Wer das Geheimnis des kostbaren Blutes bekennt und somit seinen Glauben an das Erlösungswerk Jesu Christi bekundet, der kann nicht anders, als selber mit anderen und auch für andere zur Opfergabe werden. Ganz eindringlich ruft uns ein grosser “Apostel der Eucharistie” zu: “Betet Jesus an und leistet ihm Sühne für eure Vergehen und für die aller Menschen. Bietet ihm eure Leiden an und die der Menschen, legt euch einige Werke der Busse auf. - Weil eure Genugtuungen und Buss­übungen zu schwach und armselig sind, um die grossen Vergehen zu sühnen, vereinigt sie mit jenen von Jesus Christus, eurem Erlöser am Kreuz. Sammelt das göttliche Blut, das seinen Wunden entquoll, und opfert es der göttlichen Gerechtigkeit zur Sühne auf; opfert die Leiden Jesu und seinen Tod am Kreuz auf. Bedient euch seiner Schmer­zen und seines Gebetes am Kreuz, um vom himmlischen Vater Gnade und Barmherzigkeit für euch und für alle Sünder zu erflehen. Vereinigt eure Sühne mit jener der allerseligsten Jungfrau Maria zu Füssen des Kreu­zes.”8

2. Wir verehren das Geheimnis des kostbaren Blutes Jesu Christi.

Wenn wir auf die Verehrung des kostbaren Blutes unseres Erlösers Jesus Christus hinweisen und diese zu fördern suchen, dann bewegen wir uns nicht auf einem religiösen Nebenschauplatz. Bei der Verehrung des Blutes Christi geht es beileibe nicht um ein spirituelles Nischenprodukt im religiösen Supermarkt. Im Gegenteil: hier geht es um eine für den Christen wesentliche Aufgabe. Die Verehrung des kostbaren Blutes zielt direkt auf das Zentrum des Erlösungsgeheimnisses ab. Es geht dabei um jene unaussprechlich grosse und schöne Liebe, von der das Herz des göttlichen Erlösers ganz erfüllt ist. Sein Herz ist kein blutleeres Herz; es ist das blutvollste und damit vitalste Herz überhaupt. Es geht also um die Verehrung jenes Liebesblutes, das der Sohn Gottes in seiner Liebesglut für uns zur Liebesflut werden lässt. Es geht um die Verherrlichung der überströmenden Liebe, die aus dem Innersten des Gottmenschen Jesus Christus hervorquillt. Diese Liebe ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.9 Sie ruft das Echo unseres Herzens hervor und begeistert uns zur Verehrung, Verherrlichung und Anbetung. Der heilige Kaspar del Bufalo, den der selige Papst Johannes XXIII. den “echten und grössten Apostel der Verehrung des Kostbaren Blutes Jesu auf der Welt” nannte, drüc­kt sich einmal so aus: “In der Verehrung des Kostbaren Blutes haben wir die Schatz­kammer der Weisheit und Heiligkeit. Hierin liegt unser Trost, unser Friede und unsere Rettung. Die Verehrung des Kost­baren Blutes gehört zum Wesen des christ­lichen Glaubens.”10 Ja, wir sind hier nicht im Bereich einer Sonderfrömmigkeit. Wir bewegen uns vielmehr auf dem Gebiet des unerschöpflichen Geheimnisses der Liebe Christi, die alles Begreifen übersteigt.11 Wir berühren sogar mit Herz und Seele dieses Geheimnis, wenn wir ehrfürchtig aufblicken zum Leib und zum Blut Chris­ti, die uns - wenn auch unter den heiligen Gestalten verborgen - nach der Wandlung gezeigt werden und vor denen wir niederknien sollen wie bei jeder eucharistischen Anbetung­. Die heilige Katharina von Siena betont zurecht: “Mit seinem Blut hat er ja das Antlitz unserer Seele gewaschen. Im Blut, das mit soviel Feuer der Liebe und mit soviel Geduld vergossen wurde, schuf er uns neu zur Gnade. Das Blut beschönigte unsere Nacktheit, da es uns mit Gnade bekleidete. Die Wärme des Blutes liess die Lauheit des Menschen auftauen. Im Blut wurde die Fin-sternis zerstört und das Licht geschenkt. Im Blut wird die Eigenliebe verzehrt, d.h. die Seele, die nur auf sich schaut, wird vom Blut geliebt und bekommt dadurch eine Stütze, an der sie sich erheben kann aus der elenden Eigenliebe. Nun kann sie ihren Erlöser lieben, der ihr mit soviel Liebesfeuer das Leben gab und wie ein Verliebter den schmachvollen Tod auf sich nahm.”12 Müssen wir da nicht verstummen und vor unserem Erlöser anbetend auf die Knie fallen?­

3. Wir feiern das Geheimnis des kostbaren Blutes Jesu Christi.

Es wäre gewiss zu wünschen, dass das Fest des Kostbaren Blutes unseres Herrn Jesus Christus am 1. Juli weltweit wiederbelebt würde. Es müsste so nicht nur ein Eigenfest jener Ordensfamilien sein, deren Namen mit dem Geheimnis des Blutes Christi verbunden sind. Wir dürfen uns hierzulande glücklich schätzen, dass vier Gemeinschaften mit diesem Namen ausgezeichnet sind: die Miss­ionare vom Kostbaren Blut, die Schwestern vom Kostbaren Blut, die Anbeterinnen des Blutes Christi und die Missionarinnen vom Blute Christi. Ihnen kommt es besonders zu, dem Gründergeist entsprechend die Verehrung, Verherrlichung und Anbetung des kostbaren Blutes unseres göttlichen Erlösers sorgfältig zu pflegen und wirk­sam zu fördern. Das kommt uns allen dann segensreich zugute und lässt uns dafür von Herzen dankbar sein. Wir sind eingeladen, selber gelegentlich - wenn dies möglich ist - die Votivmesse vom Kostbaren Blut unseres Herrn Jesus Christus13 zu feiern. Dabei wollen wir stets auch den Zusammenhang mit dem Geheimnis des heilig-sten Herzens Jesu bedenken und die Herz-Jesu-Freitage mit besonderer Hingabe pflegen. Die Liturgie des Herz-Jesu-Festes lässt uns auf jenen Soldaten schauen, der mit seiner Lanze in die Seite des Gekreuzigten stiess. Wir folgen seinem Blick und stellen mit ihm fest, wie aus dem Innersten Jesu sogleich Blut und Wasser herausfloss.14 Wir betrachten das Herz des Erlösers und besingen mit den Worten der Präfation das Heilsgeheimnis der Liebe Jesu Christi: “Am Kreuz erhöht, hat er sich für uns dahingegeben aus unendlicher Liebe und alle an sich gezogen. Aus seiner geöffneten Seite strömen Blut und Wasser, aus seinem durch­bohrten Herzen entspringen die Sakramente der Kirche. Das Herz des Erlösers steht offen für alle, damit sie freudig schöpfen aus den Quellen des Heiles.”15 Hiezu lehrt uns die heilige Maria de Mattias den nötigen Tiefblick: “Niemals möge sich unser Herz von jenem ewigen Quell entfernen, der herausfloss aus der Liebeswunde des Herzens Jesu, des Gekreuzigten, unseres geliebten Bräutigams. Hiedurch werden unsere bescheidenen Mühen, die wir aus Liebe zu Gott übernommen haben, leicht gemacht. Wir wollen unsere Augen auf den Gekreuzigten heften und wir brauchen nicht zu fürchten, er lasse uns zugrundegehen, wenn wir nur ihm treu bleiben.”16 Mit besonderer Feierlichkeit begehen wir jeweils das Fronleichnamsfest und bitten dabei um die Gnade, die heiligen Geheimnisse seines Leibes und Blutes so zu verehren, dass uns die Frucht der Erlösung zuteil wird. Mit dem heiligen Kirchenlehrer Thomas von Aquin bekennen wir am Hochfest des Leibes und Blutes Christi in der Se­quenz: “Treu dem heiligen Befehle / wandeln wir zum Heil der Seele / in sein Opfer Brot und Wein. - Doch wie uns der Glaube kündet, / der Gestalten Wesen schwin­det, / Fleis­ch und Blut wird Brot und Wein. - Was das Auge nicht kann sehen, / der Verstand nicht kann verstehen, / sieht der feste Glaube ein.”17­ Bei jeder Feier des heiligen Messopfers feiern wir das Geheimnis des heiligen Leibes und des kostbaren Blutes Jesu Christi, durch das wir aus allen Stämmen und Sprachen, aus allen Völkern und Nationen, erkauft sind.18 So könnte über jedem Ort, wo die heilige Eucharistie gefeiert und aufbewahrt wird, ja über unser aller Leben der Lobpreis stehen: Ehre sei dem Blute Jesu!

Maria, die Mutter Jesu und die Mutter der Kirche, wird die “Mut­ter vom Kostbaren Blut” genannt, weil in ihr der göttliche Sohn sein Erlöserblut empfangen hat. Sie ist aber ebenso in einem geistlichen Sinne die Mutter des heiligen Blutes. Sie hat ihren Sohn gerade auch auf dem Weg der Schmerzen und des Leidens begleitet. Während Jesus am Kreuz verblutete, hat die Mutter zu Füssen des Kreuzes gleichsam ihr Herzblut hingegeben. Solch liebende Hingabe steht auch uns an, die wir durch das kostbare Blut erlöst sind und dem Blute Jesu stets die Ehre geben wollen - nicht nur durch Worte, sondern durch unser ganzes Leben. Amen.

Schellenberg, 15. Januar 2005

✠ Wolfgang Haas, Erzbischof von Vaduz

 

1           1 Petr 1,18-19

2           Vgl. 1 Petr 1,13

3           1 Petr 1,14-15

4           1 Kor 11,25-29

5           Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) Nr. 1385

6           KKK Nr. 1322

7           Zweites Vatikanisches Konzil, Liturgie-Konstitution “Sacrosanctum Concilium” Nr. 47

8           Aus den Schriften des hl. Peter Julian Eymard (1811-1868), La Sainte Eucharistie I, Montréal 1950 (zit. Eucharistie - Licht und Leben, 1995, S. 190)

9           Siehe Röm 5,5

10         Aus den Schriften des hl. Kaspar del Bufalo, “Generalis operis adumbratio”, Vol. XII (zit. Gebete und Feiern CPPS, S. 83)

11         Vgl. Eph 3,19

12         Aus den Schriften (Briefe) der hl. Katharina von Siena (zit. Gebete und Feiern CPPS, S. 59)

13         Vgl. Messbuch II, S. 1098/1099

14         Vgl. Joh 19,34

15         Präfation vom heiligsten Herzen Jesu (siehe Messbuch)

16         Aus den Schriften (Briefe) der hl. Maria de Mattias (zit. Gebete und Feiern CPPS, S. 18)

17         Fronleichnamssequenz “Lauda, Sion, Salvatorem”

18         Vgl. Off 5,9