Ausdauer im Glauben, im Hoffen, im Lieben
Hirtenbrief zur Fastenzeit 2009 von Msgr. Wolfgang Haas, Erzbischof von Vaduz
(Der Hirtenbrief ist am 1. Fastensonntag, 1. März 2009, in allen Gottesdiensten vorzulesen. Er kann auch auf zwei Fastensonntage verteilt vorgetragen werden. Zur Veröffentlichung in der Presse ist er vom 2. März 2009 an freigegeben.)
Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!
Wir alle wissen oder spüren es: „Der Glaube ist ein Gnadengeschenk, das Gott den Menschen gibt. Wir können dieses unschätzbare Geschenk verlieren.“1 Dieser Verlust bahnt sich oft schleichend an. Wie schon in alltäglichen menschlichen Zusammenhängen die Lustlosigkeit eine lähmende Wirkung hat, so kann auch die Lust am Glauben schwächer werden und mitunter gänzlich abhanden kommen. Anders ausgedrückt: Es braucht einen wirklichen „Appetit“, also ein Verlangen nach der Erfüllung des Sinnzieles unseres Lebens, ein Streben nach dem wahren und ewigen Glück.
Auch unter Christen gibt es nicht wenige, die man praktische Atheisten nennen könnte. Sie leugnen zwar nicht ausdrücklich die Existenz Gottes. Sie leben aber so, als ob es Gott nicht gäbe und als ob ihm keine Rechenschaft geschuldet würde. Konkret heisst das: Sie kümmern sich kaum oder gar nicht um die Gebote Gottes und der Kirche. Sie erfüllen über lange Zeit hinweg nicht ihre Sonntagspflicht. Sie beichten nie und verdrängen persönliche Schuld und Sünde, stumpfen ihr Gewissen ab und unterziehen sich keiner Gewissensprüfung mehr. Sie vernachlässigen das Gebet im Alltag: kein Morgengebet, kein Tischgebet, kein Abendgebet. Sie beteiligen sich nicht oder nur spärlich an den Werken christlicher Nächstenliebe. Damit werden sie zu Egoisten und Opportunisten. Natürlich sieht nur Gott in die Herzen der Menschen; aber wer die eigenen Augen nicht verschliesst, übersieht auch nicht den religiösen Zustand in unserer materialistischen und hedonistischen Gesellschaft.
Nun wissen wir aber auch oder ahnen es zumindest: Die Lust am Glauben wächst, wenn wir nur schon das Wagnis des Glauben eingehen, ja wenn wir uns geradezu in das Abenteuer des Glaubens stürzen. Weil der übernatürliche Glaube ein Geschenk Gottes an uns Menschen ist, hat er auch immer etwas Überraschendes an sich. Gott greift oft unverhofft und unversehens in unser Leben ein. Er überrascht uns durch sein phantasievolles Walten, ohne die Freiheit des Menschen zu missachten. Im Gegenteil: Gott nimmt einen jeden Menschen voll und ganz ernst in dessen Möglichkeit, zu seinem Liebesangebot „ja“ oder „nein“ oder „jein“ zu sagen. Das hat grundsätzlich schon etwas Ehrfurchtgebietendes an sich. Wenn Gott so mit uns Menschen umgeht, dann müssen wir eigentlich nur uns selber fürchten, weil wir die von ihm angebotene Chance verpassen oder gar vereiteln können. Gott zwingt uns nicht. Er lockt uns an. Er wirbt um uns. Er liebt uns; und wahre Liebe ist nur möglich, wo Freiheit besteht. Zur Liebe kann niemand gezwungen werden; sie ist freiwillig. Zu ihr kann man nur einladen; um sie kann man nur werben; auf sie kann man nur hoffen. Sie bleibt in dieser Welt immer an die Hoffnung gebunden, dass der Liebende im Herzen des Geliebten ein Echo findet. Bei alldem braucht es eine christliche Grundhaltung, die wir Ausdauer oder Beharrlichkeit nennen. Nur durch diese werden wir tauglich für echtes Glauben, echtes Hoffen und echtes Lieben. Nur durch Ausdauer oder Beharrlichkeit gelingt es, jene Treue zu erwerben, die Gott, der selber stets treu ist, von uns zurecht erwartet. Nur der Wille zum Aushalten und Durchhalten erzeugt jene Geduld, die vor Frustration und Resignation bewahrt.
Unser Heiliger Vater Papst Benedikt XVI. hat ganz zu Beginn seines Pontifikates etwas sehr Wichtiges geäussert, was wir alle beherzigen müssen: „Nicht die Gewalt erlöst, sondern die Liebe. Sie ist das Zeichen Gottes, der selbst die Liebe ist. Wie oft wünschten wir, dass Gott sich stärker zeigen würde. Dass er dreinschlagen würde, das Böse ausrotten und die bessere Welt schaffen. Alle Ideologien der Gewalt rechtfertigen sich mit diesen Motiven: Es müsse auf solche Weise zerstört werden, was dem Fortschritt und der Befreiung der Menschheit entgegenstehe. Wir leiden unter der Geduld Gottes. Und doch brauchen wir sie alle. Der Gott, der Lamm wurde, sagt es uns: Die Welt wird durch den Gekreuzigten und nicht durch die Kreuziger erlöst. Die Welt wird durch die Geduld Gottes erlöst und durch die Ungeduld der Menschen verwüstet.“2 An dieser göttlichen Ausdauer, die immer auch Dulden und Leiden einschliesst, müssen wir als Christen Mass nehmen.
- Ausdauer im Glauben
Der Völkerapostel schildert den besorgniserregenden Zustand der Menschen in der Endzeit: „In den letzten Tagen werden schwere Zeiten anbrechen. Die Menschen werden selbstsüchtig sein, habgierig, prahlerisch, überheblich, bösartig, ungehorsam gegen die Eltern, undankbar, ohne Ehrfurcht, lieblos, unversöhnlich, verleumderisch, unbeherrscht, rücksichtslos, roh, heimtückisch, verwegen, hochmütig, mehr dem Vergnügen als Gott zugewandt. Den Schein der Frömmigkeit werden sie wahren, doch die Kraft der Frömmigkeit werden sie verleugnen.“3 Was der heilige Paulus hier seinem Schüler Timotheus schreibt, ist nicht einfach Hinweis auf weitentfernt Zukünftiges, sondern bereits gegenwärtige Erfahrung. Endzeit ist jetzt, auch wenn deren zeitliche Erstreckung von niemandem bestimmt werden kann. Die Zeit der Bewährung im Glauben ist also schon längst angebrochen. Was vom Apostelschüler ausgesagt wird, sollte auch für uns gelten können: „Du aber bist mir gefolgt in der Lehre, im Leben und Streben, im Glauben, in der Langmut, der Liebe und der Ausdauer ...“4
Schon sprichwörtlich sagen wir: Das Leben ist ein Kampf. Es bedeutet für uns eine Herausforderung auf verschiedenen Ebenen. Am meisten sind wir im Glaubensleben gefordert, weil dieses nicht nur unser innerweltliches und zeitliches Dasein betrifft, sondern auch und vor allem unsere überirdische und ewige Bestimmung. Alles Weltliche und Zeitliche in unserem Erdenleben muss auf seinen Ewigkeitswert hin bedacht und behandelt werden. Wir sind in allem Gott gegenüber verantwortlich und rechenschaftspflichtig. Wir müssen also den guten Kampf kämpfen - den Kampf jenes Glaubens, der ein Gnadengeschenk ist und der nur durch Ausdauer und Beharrlichkeit siegreich sein kann. Wenn Paulus sagt: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten“5, dann weiss er genau, wovon er spricht. Er hat den Glauben bewahrt, und zwar in der Bewährung, im Leiden, in Geduld und Ausdauer. Er ist im besten Sinne des Wortes „konservativ“6. Paulus hat das göttliche Gnadengeschenk des Glaubens bewahrt, indem er sich bei allen Lebensprüfungen durch Ausdauer und Beharrlichkeit bewährt hat. Jesus selber hatte es den Seinen immer schon ans Herz gelegt: „Wer bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet.“7 Der Herr lässt seine Apostel und Jünger nicht im Unklaren darüber, dass die volle Gemeinschaft mit ihm die Sendung zum furchtlosen Bekenntnis zu ihm bedeutet. Er spricht in seiner Rede über die Endzeit Klartext: „Ihr werdet von Kriegen hören, und Nachrichten über Kriege werden euch beunruhigen. Gebt acht, lasst euch nicht erschrecken! Das muss geschehen. Es ist aber noch nicht das Ende. Denn ein Volk wird sich gegen das andere erheben und ein Reich gegen das andere, und an vielen Orten wird es Hungersnöte und Erdbeben geben. Doch das alles ist erst der Anfang der Wehen. Dann wird man euch in grosse Not bringen und euch töten, und ihr werdet von allen Völkern um meines Namens willen gehasst. Dann werden viele zu Fall kommen und einander hassen und verraten. Viele falsche Propheten werden auftreten, und sie werden viele irreführen. Und weil die Missachtung von Gottes Gesetz überhandnimmt, wird die Liebe erkalten. Wer jedoch bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet.“8 Die Kirche kann sich also nie auf einen gemütlichen Spaziergang in dieser Weltzeit einstellen. Sie weiss sich in ihrer ganzen Glaubensgeschichte auf den Kreuzweg mit ihrem Herrn und für ihren Herrn verwiesen. Die Nachfolge Jesu Christi mündet in dieser oder jener Weise immer in den Kreuzweg ein. So wissen wir genau, was der Herr uns zumutet und was er uns zugleich verheisst. „Der Weg zur Vollkommenheit führt über das Kreuz. Es gibt keine Heiligkeit ohne Entsagung und geistigen Kampf. Der geistliche Fortschritt verlangt Askese und Abtötung, die stufenweise dazu führen, im Frieden und in der Freude der Seligpreisungen zu leben.“9
Ein Christsein der Mittelmässigkeit ist kein wirkliches Christsein. Dabei vergässe man oder verzichtete man darauf, Mass an dem zu nehmen, dessen Namen wir tragen und der als unser Massgebender in unserer Mitte sein will. Als Christgläubige jeglichen Standes und Ranges sind wir zur Fülle des Lebens mit Gott berufen. Wir alle sind zur Heiligkeit berufen, die wir auf unserem Glaubensweg erlangen sollen. Als treue Kinder Gottes erhoffen und erbitten wir stets die Gnade der Beharrlichkeit bis zum Ende und die ewige Belohnung für die Ausdauer in der Nachfolge Christi.
- Ausdauer im Hoffen
In seiner diesjährigen Botschaft zur Fastenzeit schenkt uns der Heilige Vater Papst Benedikt XVI. eine tiefgründige Betrachtung zum rechten Verständnis christlichen Fastens. Er knüpft dabei an das Fasten Jesu in der Wüste an, wovon uns das Matthäusevangelium berichtet: „Nachdem er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, bekam er Hunger.“10 Der Teufel nutzt diese leibliche Verfassung Jesu schamlos aus, um den Herrn in Versuchung zu führen. Der Sohn Gottes erkennt die böse Absicht des Widersachers sofort und antwortet diesem gegenüber mit einem Wort der Schrift, wo es heisst: „Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“11 Demnach gilt: „Das wahre Fasten richtet sich also auf das Essen der «wahren Nahrung», nämlich: den Willen des Vaters zu tun.“12 Wenn es um die Erfüllung des göttlichen Willens geht, dann müssen wir ein Wort im Hebräerbrief besonders ernst nehmen: „Was ihr braucht, ist Ausdauer, damit ihr den Willen Gottes erfüllen könnt und so das verheissene Gut erlangt.“13 Hier ist vom verheissenen Gut die Rede und damit von etwas Zukünftigem, das wir erhoffen. Wenn unser Fasten den Hunger nach der wahren Nahrung auslöst - das heisst: den Willen des himmlischen Vaters erfüllen zu wollen -, dann hat das immer auch mit unserer Hoffnung zu tun. Für den gläubigen Menschen ist klar: Das letzte Ziel der Hoffnung ist - wie der heilige Thomas von Aquin sagt - die ewige Glückseligkeit.14 Auch wenn man in gewisser Weise auf einen Menschen oder ein anderes Geschöpf seine Hoffnung setzen kann, durch die man Hilfe erhält zur Erlangung irgendwelcher Güter, die auf die Glückseligkeit hingeordnet sind, so geht es doch ganz und gar darum, die Hoffnung auf den Herrn selbst zu setzen, der uns aufrecht hält und der der Geber aller Gaben ist. Damit ist eigentlich schon ausgesagt, dass es im Hoffen Ausdauer braucht. „Die Tugend der Hoffnung entspricht dem Verlangen nach Glück, das Gott in das Herz jedes Menschen gelegt hat. Sie nimmt in sich die Hoffnungen auf, die das Handeln der Menschen beseelen; sie läutert sie, um sie auf das Himmelreich auszurichten; sie bewahrt vor Entmutigung, gibt Halt in Verlassenheit; sie macht das Herz weit in der Erwartung der ewigen Seligkeit. Der Schwung, den die Hoffnung verleiht, bewahrt vor Selbstsucht und führt zum Glück der christlichen Liebe.“15 Hoffnungsträger und Hoffnungspfleger sind also gerade jene, die ihre Anstrengungen nicht einfach auf irdisches Glück ausrichten, sondern vielmehr dem ewigen Glück widmen. Würden wir alle immer wieder und noch vermehrt auf das eigentliche Ziel unseres Lebens, nämlich die himmlische Vollendung, blicken, bekämen auch unser innerweltliches und zeitlich begrenztes Denken, Fühlen, Sprechen und Handeln eine neue Qualität. Wir würden nicht einfach bei uns selber und unseren eigenen Begrenztheiten stehen bleiben, sondern gerade uns selber und unsere Grenzen übersteigen.
Wieder ist es der Völkerapostel Paulus, der uns - frei von jedem Zweckoptimismus oder Zweckpessimismus - ermutigt: „Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in der Bedrängnis, beharrlich im Gebet!“16 Das Ausharren in Geduld ist geradezu das Kennzeichen christlicher Hoffnung. Es ermöglicht sogar die Hoffnung wider alle Hoffnung. Durch den beharrlichen Ausblick auf das letzte Ziel unseres Lebens sind wir auch fähig und bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die uns erfüllt.17 Wir werden dann auch darüber Rechenschaft ablegen können, warum uns ein wahrhaft christliches Fasten wichtig und unverzichtbar ist, das eben immer auch unser letztes Ziel ins Blickfeld rückt. Der heilige Paulus mahnt uns noch einmal: „Bedenkt die gegenwärtige Zeit: Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne massloses Essen und Trinken, ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht. Legt als neues Gewand den Herrn Jesus Christus an, und sorgt nicht so für euren Leib, dass die Begierden erwachen.“18 Hier spricht ein Realist zu uns, der die menschlichen Schwächen kennt, aber auch die Heilmittel gegen diese Schwächen. Hier schreibt einer, der um die Hoffnung jener weiss, die - gerecht gemacht aus Glauben - Frieden mit Gott durch Jesus Christus haben. Diese wissen nämlich: „Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen ...“19 Was wir erhoffen dürfen, ist die Herrlichkeit des Himmels, die Gott denen verheissen hat, die ihn lieben und seinen Willen erfüllen. Wie tröstlich ist es, im Glauben und in der Hoffnung zu wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt.20 Mit der heiligen Theresia von Avila dürfen wir sprechen: „Hoffe, meine Seele, hoffe! Du weisst nicht den Tag und die Stunde. Wache aufmerksam. Alles geht rasch vorbei, obwohl deine Ungeduld das, was sicher ist, zweifelhaft und eine recht kurze Zeit lang macht. Denk daran: Je mehr du kämpfst, desto mehr wirst du deine Liebe zu Gott beweisen und desto mehr wirst du dich eines Tages mit deinem Geliebten freuen in einem Glück und einem Entzücken, die nie enden können.“21
- Ausdauer im Lieben
Unser Heiliger Vater erinnert uns daran, dass die Fastenzeit uns dazu verhelfen kann, „unseren Egoismus zu bändigen und das Herz zu weiten für die Liebe zu Gott und zum Nächsten, für das erste und höchste Gebot des Neuen Gesetzes und die Summe des ganzen Evangeliums.“22 Wie gebrechlich und zerbrechlich der Mensch in unserer heutigen Gesellschaft ist, wenn es um die Aufrechterhaltung von Liebesbeziehungen geht, zeigt nur schon die erschreckend hohe Zahl von Scheidungen. Da es sich dabei oft um blosse Zivilehen handelt und die Scheidungsrate bei diesen besonders hoch ist, wird doch auch deutlich, dass dort, wo der Segen Gottes fehlt, vieles noch krisenanfälliger und brüchiger ist. Die Liebe - christlich verstanden - ist „jene göttliche Tugend, kraft derer wir Gott um seiner selbst willen über alles lieben, und aus Liebe zu Gott unseren Nächsten lieben wie uns selbst.“23 Wahre Liebe ist auf Langzeit, ja sogar auf Ewigkeit ausgerichtet. Schon ein Dichterwort sagt: Nicht in der Begeisterung, sondern in der Treue zeigt sich die wahre Liebe.
Wenn Jesus die Seinen „bis zur Vollendung“ liebt24, dann gibt er uns das Mass wirklicher Liebe vor; mehr noch: Er lebt es uns vor. Sein Gebot lautet: „Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine grössere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage.“25 Wer so liebt und so lieben will wie Jesus, der hält seine Gebote und bleibt dadurch in seiner Liebe.26 Er verharrt darin bis zum Ende, eben bis zur Vollendung. Diese Ausdauer bis zum Ende ist nur in der Gnade Gottes und mit dem Segen Gottes möglich.
Beim feierlichen Apostolischen Segen, namentlich bei dem vom Papst gespendeten Segen „urbi et orbi“, klingt dieser Ruf zum Durchhalten bis zum guten Ende auf: Wir sollen die guten Werke mit jener Ausdauer verrichten, die bis ans Ende unseres Erdenlebens besteht und auf die Vollendung in der ewigen Herrlichkeit ausgerichtet ist. Diese Ausdauer in guten Werken ist nicht nur für das Diesseits, sondern auch und besonders für das Jenseits von Bedeutung. Der heilige Paulus eröffnet in seinem Hohelied der Liebe eine wunderbare Perspektive, die es zu beherzigen gilt: „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf ... Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am grössten unter ihnen ist die Liebe.“27 Nur der wahrhaft Liebende hat auch wirklich eine Perspektive - eine Perspektive, die sich nicht im Hier und Heute erschöpft, sondern dieses Hier und Heute übersteigt.
Langmut im Lieben ist gefordert, wenn Liebe eine Perspektive haben soll. Die Ausdauer kontrastiert zu jener weit verbreiteten Mentalität, alles schnell und ganz haben zu wollen. Sie hebt sich ab von jenem ungezügelten Begehren, das auf ständigen Konsum aus ist und damit im Verschleiss endet. Sie steht jener Ungeduld entgegen, die weder das Warten noch das Erwarten kennt. Liebe, auf Langzeit und auf Ewigkeit angelegt, verlangt Opfer. Liebe schliesst Verzicht in sich. Liebe ist Hingabe ohne egoistische Berechnung. Verzichtsübung ist Liebesübung; und Liebesübung ist Verzichtsübung. Wer liebt, will auf Dauer lieben; das kann nur gelingen, wenn Opfer und Verzicht bejaht werden. Wer als wahrer Christ liebt, liebt immer. Der heilige Augustinus schrieb einmal: „Die Vollendung unserer Werke ist die Liebe. Das ist das Ziel, um dessentwillen wir laufen, dem wir zueilen und in dem wir, wenn wir es erreicht haben, ruhen werden.“28 Wer wollte sich das nicht wünschen: in der Liebe zu ruhen; ständig, ja ewig in der Liebe zu bleiben; in Gottes Liebe geborgen zu sein. Dieser Wunsch steht dem Auftrag nicht entgegen, schon in dieser Welt die Menschen so zu lieben, wie Gott sie liebt. Im Gegenteil: Wer sich die ewige Ruhe in Gottes Liebe wünscht, wünscht das auch den Mitmenschen.
„Die Frucht der Liebe sind Freude, Friede und Barmherzigkeit; die Liebe verlangt Wohltätigkeit und brüderliche Zurechtweisung; sie ist Wohlwollen; sie will gegenseitig sein; sie bleibt uneigennützig und grosszügig; sie ist Freundschaft und Gemeinschaft.“29 Um in solch fruchtbarer Liebe ausharren zu können, bedarf es des unablässigen Gebetes. Die Langlebigkeit und Fruchtbarkeit jeder wirklichen Liebe muss mit einem Gebetsleben einhergehen, das unsere Schwerfälligkeit und Trägheit überwinden hilft und zur guten Tat beflügelt. Das bedeutet für uns oft Kampf: Kampf gegen Eigensinn und Eigensucht. Diesen Kampf bestehen wir dann, wenn wir Lieben und Beten miteinander verschränken. Wer mit Ausdauer zu lieben sucht, der muss auch um ständiges Beten bemüht sein. Wie die Liebe so setzt unser Beten „ein Mühen und einen Kampf gegen uns selbst und gegen die List des Versuchers voraus. Der Kampf des Gebetes ist nicht vom «geistlichen Kampf» zu trennen, der notwendig ist, um mit innerer Beständigkeit aus dem Geiste Christi zu handeln: wir beten, wie wir leben, weil wir leben, wie wir beten.“30 Wir dürfen dem sogar hinzufügen: Wir beten, wie wir lieben, weil wir lieben, wie wir beten.
Ausdauer im Glauben, Ausdauer im Hoffen, Ausdauer im Lieben - das ist ein Gnadengeschenk. Dieses hält Gott gerne für uns bereit. Dessen Annahme ist nur in einer liebenden Gottesbeziehung möglich und nährt sich durch unser Gebet. Der betende Mensch steht mit Gott in Beziehung. Er setzt dabei auf Dauerhaftigkeit und antwortet durch seine Treue auf die Treue Gottes, der sich selbst als der „Gott mit uns“ geoffenbart hat. Wenn immer wir uns beständig mit dem lebendigen Gott verbinden, werden wir vor Frustration und Resignation bewahrt bleiben, die fortwährend unser Leben bedrohen oder lähmen möchten. Auch wenn es uns nicht immer ums Lachen ist: Glaube, Hoffnung und Liebe halten uns aufrecht und schenken uns jene innere Freude und jenen inneren Frieden, welche die Welt nicht geben kann. Maria, die Mutter Jesu, hat als die mit Ausdauer Glaubende, Hoffende und Liebende selbst unter dem Kreuz keine Frustration und keine Resignation gekannt, auch wenn ihr der Verheissung gemäss ein Schwert durch die Seele drang. Sie hat vielmehr die Stimme ihres sterbenden Sohnes verinnerlicht, der sie uns zur Mutter gegeben hat. Als Mutter der Kirche ist sie uns Vorbild und Beispiel für Ausdauer im Glauben, im Hoffen und im Lieben. Auf ihre Fürsprache vertrauen wir in allen Wechselfällen und Prüfungen unseres Lebens. Amen.
Schellenberg, 11. Februar 2009
✠ Wolfgang Haas, Erzbischof von Vaduz
1 Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) Nr. 162
2 Papst Benedikt XVI., Predigt bei der heiligen Messe zu seiner Amtseinführung am 24. April 2005
3 2 Tim 3,1-5
4 2 Tim 3,10
5 2 Tim 4,7
6 2 Tim 4,7 lat.: „Bonum certamen certavi, cursum consummavi, fidem servavi.“
7 Mt 10,22; 24,13
8 Mt 24,6-13
9 KKK Nr. 2015
10 Mt 4,2
11 Mt 4,4
12 Aus: Botschaft des Heiligen Vaters Benedikt XVI. für die Fastenzeit 2009 mit Bezug auf Joh 4,34
13 Hebr 10,36
14 Hl. Thomas von Aquin, Summa theologica, II-II, q. 17, art. 4
15 KKK Nr. 1818
16 Röm 12,12
17 Vgl. 1 Petr 3,15
18 Röm 13,11-14
19 Röm 5,3-5
20 Vgl. Röm 8,28
21 Hl. Theresia von Jesus, excl. 15,3 (zitiert nach KKK Nr. 1821)
22 Aus: Botschaft des Heiligen Vaters Benedikt XVI. für die Fastenzeit 2009 mit Bezug auf Mt 22,34-40
23 KKK Nr. 1822
24 Vgl. Joh 13,1
25 Joh 15,12-14
26 Vgl. Joh 15,9-10
27 1 Kor 13,4-8; 13,13
28 Hl. Augustinus, ep. Jo. 10,4 (zitiert nach KKK Nr. 1829)
29 KKK Nr. 1829
30 KKK Nr. 2752