Hirtenbrief zur Fastenzeit 2013

Seid dankbar!

Hirtenbrief zur Fastenzeit 2013 im «Jahr des Glaubens» von Msgr. Wolfgang Haas, Erzbischof von Vaduz

 

(Der Hirtenbrief ist am 1. Fastensonntag, 17. Februar 2013, in allen Gottesdiensten vorzulesen. Er kann auch auf zwei Fastensonntage verteilt vorgetragen werden. Zur Veröffentlichung in der Presse ist er vom 18. Februar 2013 an freigegeben.)

 

Liebe Brüder und Schwestern im Glauben!

Das von unserem Heiligen Vater Papst Benedikt XVI. ausgerufene und feierlich eröffnete “Jahr des Glaubens” fordert uns alle heraus, danach zu fragen: Wo stehe ich als katholischer Christ in meinem Glaubensleben? Wie stehe ich als katholischer Christ zu meinem Glauben? Wann stehe ich als katholischer Christ für meinen Glauben auch öffentlich ein? Diese Einladung zur Selbstbefragung sollten wir nicht unbeantwortet lassen. Dieser Appell zur Nach­frage bei uns selbst darf nicht ohne Echo bleiben.

Durch Taufe und Firmung sind wir dazu berufen, uns selbst und unsere Mitmenschen in Liebe zu heiligen. Durch Taufe und Firmung sind wir dazu beauftragt, für unseren Glauben Zeugnis abzulegen. Durch Taufe und Firmung sind wir dazu verpflichtet, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die uns hält und bewegt. Als solchen, die durch die Taufe zu Kindern Gottes und Gliedern der Kirche Christi geworden sind und die durch die Firmung zum Handeln aus Glauben befähigt wurden, steht es uns an und steht es uns auch zu, den wahren Glauben mutig und treu zu bekennen. Da aber stellt sich sofort die Frage für jeden einzelnen: Was habe ich aus meinem Getauft- und Gefirmtsein ge­macht? Bin ich vielleicht auf die breite Strasse der bequemen Anpassung an den Zeitgeist gelangt? Habe ich mitunter den Weg feiger Zurückhaltung gewählt? Bin ich gar auf den Pfad der praktischen Verleugnung oder des blanken Verrates unseres Glaubens eingeschwenkt? Befragen wir uns also durchaus schonungslos und geben wir darauf eine ehrliche Antwort!

Im Kolosserbrief des heiligen Apostels Paulus heisst es von denen, die durch Glaube und Taufe vom alten zum neuen Menschen geworden sind - also auch von uns: “Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen. Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig, und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht. In eurem Herzen herrsche der Friede Christi; dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Seid dankbar! Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch. Belehrt und ermahnt einander in aller Weisheit! Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie sie der Geist eingibt, denn ihr seid in Gottes Gnade. Alles, was ihr in Worten und Werken tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn. Durch ihn dankt Gott, dem Vater!”1

  1. Seid dankbar - für das Geschenk des Glaubens!

Im Einleitungsdialog des traditionellen Taufritus richtet der Taufspender an den Täufling die Frage: “Was begehrst du von der Kirche Gottes?” Der Täufling antwortet nicht: “Die Taufe”, sondern: “Den Glauben”. Er tut es auch durch den Mund des Taufpaten oder der Taufpatin. Und die Frage an den Täufling, die sogleich folgt, lautet: “Was gewährt dir der Glaube?” Die Antwort darauf, die wiederum der Täufling selber - wenn auch beim Kleinkind durch Stellvertretung - gibt, heisst: “Das ewige Leben”. Dass ein Taufbewerber getauft zu werden wünscht, ist so selbstverständlich, dass er nicht noch die Taufe erbitten muss. Dass er aber nach dem Glauben verlangt, macht deutlich, dass der Glaube nicht etwas Selbstverständliches, sondern etwas Geschenkhaftes ist: ein Angebot der liebenden Zuwendung Gottes, das es im Verlauf des Lebens immer neu anzunehmen gilt.

Glaube - was ist das? Im Hebräerbrief lesen wir: “Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.”2 Diese Feststellung verweist uns auf die Übernatürlichkeit unseres Glaubens, der eine Antwort des Menschen auf Gottes Anruf ist. Die Initiative geht von Gott aus. Gott ermöglicht den Glauben an ihn durch seine Gnade. Der Glaube setzt die Gnade voraus, so wie die Gnade die Natur voraussetzt.

Der Glaube ist für jeden eine persönliche Bindung an Gott und zugleich - weil Gott vollkommen glaub­würdig ist - eine freie Zustimmung zu der von Gott geoffenbarten Heilswahrheit. “Als persönliche Bindung an Gott und Zustimmung zu der von ihm geoffenbarten Wahr­heit unterscheidet sich der christliche Glaube von dem Glauben, den man einem Menschen schenkt. Sich ganz Gott anheimzugeben und das, was er sagt, absolut zu glauben, ist richtig und gut. Nichtig und falsch wäre es hingegen, einem Geschöpf einen solchen Glauben zu schenken.”3

An Gott glauben, heisst konkret: an Jesus Christus glauben, an den menschgewordenen Sohn Gottes, an das Ewige Wort, das Fleisch angenommen hat. Wir glauben an den und glauben dem, von dem es im Johannesevangelium heisst: “Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.”4 Um an Jesus Christus glauben zu können und um ihm vollen Glauben zu schenken, brauchen wir den Heiligen Geist. Er ist die Gabe Gottes überhaupt, die Liebesgabe in Person, welche uns die Begabung schenkt, glauben zu können und glauben zu wollen.

Kurzum: der Glaube ist eine Gnade. Um diese Gnade bittet der Täufling, wenn er selbst sprechen kann, oder der Taufpate, der für den Täufling spricht, der selbst noch nicht sprechen kann. “Der Glaube ist ein Geschenk Gottes, eine von ihm eingegossene übernatürliche Tugend”5; und er gewährt das ewige Leben. Für dieses Geschenk, das wir fortwährend bereitwillig anzunehmen gehalten sind, wollen wir stets dankbar sein.

  1. Seid dankbar - für das Geschenk des wahren Glaubens!

Wir haben es bereits angetönt: Nach unserem christlichen Verständnis ist der Glaube einerseits etwas höchst Subjektives und andererseits etwas höchst Objektives. Subjektiv ist der Glaube deswegen, weil er unsere freiwillige persönliche Zustimmung verlangt und unseren persönlichen Gehorsam erfordert. Objektiv ist der Glaube deshalb, weil sein Inhalt nicht beliebig, sondern durch Gottes Offenbarung vorgegeben ist. Es bedarf also der zuvorkommenden und helfenden Gnade Gottes und des inneren Beistands des Heiligen Geistes, damit wir in einem Akt subjektiv und objektiv glauben. Durch Gottes liebende Zuwendung wird unser Herz dazu bewegt, dass wir uns Gott zuwenden. Die Augen unseres Geistes werden so geöffnet für jene Welt, die den leiblichen Augen verborgen ist. Die Augen des Leibes beginnen dann aber ihrerseits, neu auf die sichtbare Welt zu blicken und dahinter den unsichtbaren Gott zu entdecken. Wenn wir derart glauben, dann wirken eben Verstand und Wille des Menschen mit der göttlichen Gnade zusammen. Der heilige Thomas von Aquin drückt dies mit folgenden Worten aus: “Glau­ben ist ein Akt des Verstandes, der auf Geheiß des von Gott durch die Gnade bewegten Willens der göttlichen Wahrheit zustimmt.”6 Der Glaube ist ein zutiefst menschlicher Vollzug und hinsichtlich seiner Grundlage eine zuinnerst göttliche Zuwendung.

Im Schosse der hierarchisch gegliederten Kirche, welcher vom Herrn selbst die Aufgabe anvertraut ist, das Glaubensgut zu hüten und zu bezeugen, ist das Credo - unser Glaubensbekenntnis - gleichsam wie eine vitale Pflanze erwachsen, die nie altert und nie welkt. Es gibt daher niemals ein veraltetes oder gar abgestorbenes Credo. Die Kirche behält im Lauf ihrer Geschichte alle authentischen Glaubensaussagen gegenwärtig und erhält sie lebendig - bildlich gesprochen: einer Blütenknospe gleich, die sich immer mehr öffnet, aber keines ihrer Blütenblätter je verliert. Dieses unser katholisches Verständnis des inhaltlich vorgegebenen und damit zu allen Zeiten und an allen Orten verbindlichen Glaubens verpflichtet uns, die Fülle und Kraft und Schönheit der Glaubenslehre unverkürzt und unbeschädigt beizubehalten und darzulegen.

Beim Inkraftsetzen des “Katechismus der Katholischen Kirche” vor nunmehr gut zwanzig Jahren hat der selige Papst Johannes Paul II. den Wunsch angebracht: “Möge das Licht des wahren Glaubens die Mensch­heit vor der Unwissenheit und der Sklaverei der Sünde befreien und sie so zur einzigen dieses Namens würdigen Freiheit hinführen.”7 Diese Aussage hat ihre Grundlage in einem Wort Jesu Christi selbst, der uns sagt: “Die Wahrheit wird euch befreien.”8 Für das Geschenk des wahren Glaubens, wie dieser mit seiner ganzen inhaltlichen Fülle und vitalen Kraft in der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche geborgen und wirksam ist, wollen wir gemeinsam danken.

  1. Seid dankbar - für das Geschenk der treuen Glaubensboten!

Die Aufgabe der Weitergabe des wahren Glaubens ist uns allen aufgetragen, die wir der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche angehören. Jenen, die von Amtes wegen den Auftrag der Glaubensverkündigung inne haben, muss es ein Herzensanliegen sein, dafür zu sorgen, dass alle Gläubigen immer mehr und immer besser erkennen, wie schön und wich­tig es ist, aufgrund von Taufe und Firmung je nach Zuständigkeit und Verantwortlichkeit am Dienst der Glaubensweitergabe mitzuwirken. Boten und Zeugen des wahren Glaubens zu sein, setzt jedoch das Kennen und immer bessere Kennenlernen unseres Glaubens voraus. Es erfordert die eigene Freude am Glauben und die Liebe zur Wahrheit. Es verlangt den Mut zum Bekennen des wahren Glaubens.

Im eigenen Haus, in der Familie, in jeder Kleinst- und Kleingemeinschaft muss beginnen, was im grösseren gesellschaftlichen Zusammenhang leuchten soll. Daheim sollten wir die ersten Gebete und weitere Ausdrucksformen unseres Glaubens erlernt haben beziehungsweise erlernen. Es ist christliche Elternpflicht, den Kindern die Liebe zu Gott und zu den Menschen, die Achtung vor der Schöpfung und die Ehrfurcht vor dem Leben beizubringen. Vater und Mutter sind die ersten Glaubensboten oder sollten es jedenfalls sein. Wie oft erleben heute jene, die im katechetischen Dienst der Kirche stehen, dass bei den Schülern die religiösen Grundlagen fehlen, dass selbst die christlichen Grundgebete unbekannt sind, dass kaum ein Glaubenswissen vorhanden ist, vom Mangel an regelmässiger kirchlicher Praxis ganz zu schweigen.

Der Dienst am Reich Gottes und damit gerade auch an der Weitergabe des wahren Glaubens ist deswegen sehr an­spruchsvoll geworden, weil weitherum eine verhängnisvolle religiöse Anspruchslosigkeit besteht. Die Hauptfeindin des Glaubenslebens ist nicht so sehr eine auf Skepsis oder Kritik beruhende Gegnerschaft, sondern vielmehr jene heillose Gleich­gültigkeit, welche - gepaart mit Verantwortungslosigkeit und mit Respektlosigkeit - schliesslich im fatalen Ausspruch endet: Nach mir die Sintflut! Wem letztlich alles egal ist, der fürchtet weder Gott noch dessen Strafgericht, weder Tod noch Teufel, weder Hölle noch Untergang. Hinsichtlich unserer hedonistischen, konsumistischen und materialistischen Gesellschaft stellen wir einen zunehmenden Glaubens­schwund fest, den man gelegentlich eine “Verdunstung des Glaubens” nennt. Das macht freilich besorgt. Auf manche wirkt es sogar lähmend. Als katholischen Christen, die dem wahren Glauben verpflichtet sind, stehen uns Frustration und Resignation jedoch nicht an. Im Gegenteil: Da ist es gerade unsere vordringliche Aufgabe, als zuverlässige Glaubensboten missionarisch zu wirken. Ein anderes Wort für diesen höchst notwendigen missionarischen Einsatz heisst “Neu-evangelisierung”. Die stets gültige und gleichbleibende Frohbotschaft Christi gilt es immer neu zu verkünden.

Ein Dichterwort sagt: Nicht in der Begeisterung, sondern in der Treue zeigt sich die wahre Liebe. Gefordert sind somit die treuen Glaubensboten, welche unablässig die gute Nachricht von der erlösenden und befreienden Liebe Gottes verbreiten. Gesucht sind die treuen Glaubensboten, welche unermüdlich den Menschen die Kunde von der unerschöpflichen Barmherzigkeit Gottes nahebringen. Gefragt sind die treuen Glaubensboten, die beharrlich durch ihr persönliches Lebenszeugnis glaubwürdig für Jesus Christus einstehen. Ja, gefordert und gesucht und gefragt sind die treuen Glaubensboten, die mit fester Überzeugung den verkünden, der von sich gesagt hat: “Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich­.”9 Diese treuen Glaubensboten sind wahrhaft ein Geschenk des Himmels, wofür wir von Herzen danken wollen.

Ein Kirchenlied beginnt mit den Worten: “Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen, der große Dinge tut an uns und aller Enden.”10 Gott vollzieht sein Werk der Vorsehung, auch wenn viele dieses Wirken nicht sehen oder nicht sehen wollen. Denen es gegeben ist, mit den Augen des Glaubens zu schauen, sind die göttlichen Fügungen offenbar. Um diese durch Gottes Gnade ermöglichte und gelenkte Einsicht zu haben, müssen wir befolgen, wozu Paulus uns mahnt: “Darum tötet, was irdisch an euch ist: die Unzucht, die Schaml­osigkeit, die Leidenschaft, die bösen Begierden und die Habsucht, die ein Götzendienst ist. All das zieht den Zorn Gottes nach sich. Früher seid auch ihr darin gefangen gewesen und habt euer Leben davon beherrschen lassen. Jetzt aber sollt ihr das alles ablegen: Zorn, Wut und Bosheit; auch Lä-sterungen und Zoten sollen nicht mehr über eure Lippen kommen. Belügt einander nicht; denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Taten abgelegt und seid zu einem neuen Menschen geworden, der nach dem Bild seines Schöpfers erneuert wird, um ihn zu erkennen.”11

Maria, der “Stern der Neuevangelisierung”, wird als “die neue Eva” bezeichnet. Eva heisst Leben. Maria bürgt als das neue Leben und somit als Mutter aller im Glauben Lebendigen für die rechte Antwort des Täuflings, der gefragt wird: “Was gewährt dir der Glaube?”, wenn jener daraufhin äussert: “Das ewige Leben.” Die allzeit reine Jungfrau und Gottesmutter Maria möge uns helfen, unserem Taufgelöbnis treu zu sein und das Ziel - das ewige Leben in Gott - zu erlangen. Für ihre immerwährende Hilfe auf dem Weg zu diesem Ziel danken wir ihr von ganzem Herzen. Amen.

Schellenberg, am Fest der Taufe des Herrn, 13. Januar 2013

✠ Wolfgang Haas, Erzbischof von Vaduz

 

1           Kol 3,12-17

2           Hebr 11,1

3           Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) Nr. 150

4           Joh 1,18

5           KKK Nr. 153

6           Summa theologiae, 2-2,2,9

7           Apostolische Konstitution “Fidei depositum” vom 11. Oktober 1992, (veröffentlicht am Anfang des KKK, dt. Ausgabe S. 35)

8           Joh 8,32

9           Joh 14,6

10         KGB Nr. 754; KG Nr. 236

11         Kol 3,5-10