Hirtenbrief zur Fastenzeit 2011

Eine Wolke von Zeugen

Hirtenbrief zur Fastenzeit 2011 von Msgr. Wolfgang Haas, Erzbischof von Vaduz

(Der Hirtenbrief ist am 1. Fastensonntag, 13. März 2011, in allen Gottesdiensten vorzulesen. Er kann auch auf zwei Fastensonntage verteilt vorgetragen werden. Zur Veröffentlichung in der Presse ist er vom 14. März 2011 an freigegeben.)

Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

Vor gut 25 Jahren hat Papst Johannes Paul II., der am kommenden 1. Mai vom Heiligen Vater seliggesprochen wird, unserem Land einen Pastoralbesuch abgestattet. Am 8. September des vergangenen Jahres haben wir in würdiger Feier freudvoll und dankbar dieses unvergesslichen Ereignisses gedacht. Wir sind uns erneut der bleibenden Bedeutung seiner Worte inne geworden, die er uns zur geistlichen Auferbauung und zur moralischen Aufrüstung geschenkt hat. Besonders seine mahnenden Ausführungen über den Wert und die Würde der Familie wollten wachrütteln und zur tieferen Besinnung anregen. Die Familie als Übungsfeld christlicher Tugenden: welch aktuelle Botschaft gerade auch heute! Seine damalige Ansprache an die junge Generation bei der Marienkapelle auf Dux enthielt einen klaren Appell zu einem Leben nach den Geboten Gottes und zur Christusnachfolge nach dem Beispiel der Heiligen. Der Papst sagte unter anderem: „Gott ist gross im Leben einzelner Menschen, im Leben Marias selber und vieler heiligmässiger Männer und Frauen, die als leuchtende Vorbilder in die Geschichte eingegangen sind. Gott ist aber auch gross in meinem eigenen Leben, im Leben eines jeden von uns. Er hat uns ins Dasein gerufen, er beschenkt uns jeden Augenblick mit allem, was wir sind und haben, und lädt uns ein zur ewigen Lebensgemeinschaft mit ihm.“1

Ja, wir alle sind zur Heiligkeit berufen. Es umgibt uns eine Wolke von Zeugen, die uns dabei helfen, nach Heiligkeit zu verlangen und noch heiliger zu werden. Der Völkerapostel Paulus - selbst einer, der zur grossen Wolke der Zeugen gehört - scheut sich nicht, die Adressaten eines seiner Briefe so anzureden: „Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen“2, um dann aber auch gleich im Klartext die Mahnung hinzuzufügen: „Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig, und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht.“3 „Die Liebe“ - so drückt sich der Katechismus der Katholischen Kirche aus - „ist die Seele der Heiligkeit, zu der alle berufen sind.“4

1. Eine Wolke von Zeugen: die Schar heiliger Mut­macher

Wir alle sind wohl dann und wann resignationsanfällig. Es gibt so manche Enttäuschungen in unserem Leben, die dazu angetan sind, uns mutlos zu machen. Persönlicher Frust verleitet schnell dazu, den Kopf hängen zu lassen, den Blick vorwiegend auf Negatives zu richten, die Sichtweise zu verengen, das Positive zu verdrängen. Ständige Erfolglosigkeit macht nicht selten müde, im Extremfall sogar lebensmüde. Da tut der Blick auf die Wolke von Zeugen not und gut, die uns Mut machen wollen. Schon in den Zeiten des Alten Bundes gab es sie - diese Männer und Frauen des grossen Gottvertrauens, die sich gegen jede Form der Resignation zu erwehren wussten. Sie glaubten Gott und seinen Verheissungen. Sie hofften gegen alle Hoffnung. Sie vertrauten auf Gottes Wort und Zusage. Für sie war die Ungewissheit des Ausgangs aller Unternehmungen kein Hindernis. Sie befürworteten schlicht und einfach den göttlichen Anfang. Ja, mit Gott fang an - jetzt und immer! Alles Gott zur Ehre und alles Gott zuliebe! Diese Glaubenszeugen sind die heiligen Mutmacher und Mutmacherinnen im Verlaufe der Heilsgeschichte. So konnte der Verfasser des Hebräerbriefes nach der Aufzählung solch glaubensstarker Menschen schreiben: „Da uns eine solche Wolke von Zeugen umgibt, wollen auch wir alle Last und die Fesseln der Sünde abwerfen. Lasst uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der uns aufgetragen ist, und dabei auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens; er hat angesichts der vor ihm liegenden Freude das Kreuz auf sich genommen, ohne auf die Schande zu achten, und sich zur Rechten von Gottes Thron gesetzt. Denkt an den, der von den Sündern solchen Widerstand gegen sich erduldet hat; dann werdet ihr nicht ermatten und den Mut nicht verlieren.“5

Gerade auch im erzieherischen Bereich müssen wir der stets leicht aufkommenden Mutlosigkeit entgegenwirken. Zahllos sind die heiligen und heiligmässigen Erzieher und Erzieherinnen. Sie haben immer gegen die Resignation ange­kämpft, und sie haben dabei herrliche Siege errungen. Denken wir etwa an einen heiligen Johannes Bosco oder an eine heilige Maria De Mattias. Von dieser bewunderungswürdigen Ordensfrau stammt das Wort: „Geht vor den Gekreuzigten, um Mut zu fassen! Er wird ihn euch geben.“6 Sie, die nie den Mut verlor, obwohl sie viel zu leiden hatte, pflegte als Lehrerin eine vorbildliche Beziehung zu ihren Schüler-innen; in einem Brief schreibt sie: „Ich erwarte die Mädchen mit Freuden, um mit ihnen das Glück zu teilen und um uns gegenseitig zu bestärken im Leiden aus Liebe zu Jesus, dem Gekreuzigten, und unserer lieben Mutter Maria.“7 Deshalb ermahnte sie die Lehrerinnen, zu den Schülerinnen mehr von der Liebe zu Gott und von der Tugend zu sprechen als von Fehlern. So konnte sie die Anweisung geben: „Ermutige dich selbst mehr und mehr im Dienste Gottes, so wirst du fähig sein, zu seiner Ehre viel zu wirken.“8 Ihre ganze Pädagogik war von einer zärtlichen Liebe geprägt, die sich auf Jesu Vorliebe für die Kinder stützte. So sagte sie: „Denken wir daran, dass Christus auf die kleinen Kinder mit liebevoller Zuneigung schaute und ihre Fehler mit äus­serster Güte ertrug. Tun wir dasselbe und beklagen wir uns nie, wenn wir unter ihrer Ungezogenheit leiden, denn eines Tages werden sie unsere Krone sein, wenn wir in der Geduld mit ihnen nicht ermüden. Mut!“9 „Mut“ ist bei der heiligen Maria De Mattias immer wieder ein vorrangiger Begriff. Nicht anders ist es beim heiligen Don Bosco, dessen Erziehungsarbeit zeitlos gültig ist. In einem seiner Briefe äusserte er: „Leichter ist es zornig zu werden, als es auszuhalten; einem Knaben zu drohen, statt ihn zu überzeugen. Ja, ich sage es: es ist bequemer für unsere Ungeduld und unseren Hochmut, die Widerspenstigen zu bestrafen, als sie zu bessern, indem man sie fest und zugleich milde erträgt.“10 Dazu braucht es eben den Mut im Kampf gegen sich selber. Ein Sprichwort sagt zurecht: Tapfer ist der Löwenbesieger; tapferer ist der Weltbezwinger; doch der Tapferste der Tapfern ist der, der sich selbst bezwingt. Die von der Liebe getragene Strenge in der Erziehung schliesst Launenhaftigkeit und Unbeherrschtheit aus.

2. Eine Wolke von Zeugen: die Schar heiliger Vorbilder

Bewusst oder unbewusst haben wir wohl alle in unserem Leben Vorbilder. Dabei mag zunächst einmal offen bleiben, ob die Vorbilder gut oder schlecht sind. Beileibe nicht jeder Star und jedes Starlet sind nachahmenswert. Auf der Bühne der Welt erscheinen Sterne und Sternchen, deren Lebensart und Handlungsweise alles andere als erstrebenswert sind. Der Mensch neigt aufgrund der Erbsünde und ihrer Folgen nicht selten dazu, einer Scheinwelt zu huldigen und sich gefährlichen Illusionen hinzugeben. Was im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit und insbesondere im Showgeschäft auftaucht, ist oft alles andere als förderlich für die persönliche Reifung, für das Wachstum des Verantwortungsbewusstseins gegenüber sich selber und dem Nächsten, für den Schu­tz der Menschenwürde in allen Phasen des Lebens. Unmoral macht sich überall in unserer Gesellschaft zunehmend breit und vergiftet oft unmerklich das Denken, Empfinden, Reden und Handeln. Wer das nicht sehen will, macht sich selber blind und erweist sich nur allzu schnell als verblendet.

Dem überzeugten Christen wird es nie und nimmer egal sein, wer Vorbildlichkeit für sich beanspruchen kann und wem Vorbildcharakter zukommt. Unsere Kirche hat darauf eine klare Antwort: es sind die Seligen und Heiligen des Himmels. Es sind diejenigen, deren Leben in der Nachfolge Jesu gelungen ist und die dafür die Krone des ewigen Lebens empfangen haben. Es sind jene, die - wie es eine schöne Ausdrucksweise besagt - zur Ehre der Altäre erhoben wurden. Sie sind die leuchtenden Sterne am Himmel der Heiligkeit. Sie bilden die heilige Schar der Vorbilder. Sie gehören zu jener Wolke von Zeugen, die ganz für Gott und in Vereinigung mit ihm für die Menschen gelebt und gelitten haben, ja oft ihr Leben im Martyrium für den Herrn, den sie liebten, hingaben. Wenn die geheime Quelle und das unfehlbare Mass der missionarischen Kraft der Kirche ihre Heiligkeit ist11, dann gilt eben: an diesem Quellgrund stehen die Heiligen; die massgebenden Vorbilder sind die Heiligen. Je mehr Heilige es gibt, umso stärker sprudelt die Quelle für die Evangelisierung der Welt. Je mehr Heilige es gibt, umso deutlicher tritt die Heiligkeit der Kirche als massgeblich für ihre missionarische Sendung hervor. Je mehr Heilige es gibt, umso mehr Heilige werden wieder erstehen. An uns ist es, uns die Heiligen zum Vorbild zu nehmen und sie als diese Vorbilder zu verehren. Sie verdienen unsere Anerkennung und Bewunderung. Sie zeigen uns, dass es möglich ist, heilig zu werden und in den Himmel zu kommen. Die gesamte Ge­meinschaft der Heiligen wird immer grösser sein als die Zahl derer, die selig- und heiliggesprochen sind. Diese sind glei­chsam nur eine Auswahl, die Gott durch besondere Zeichen und Wunder zeigen will und auf welche die Kirche besonders aufmerksam macht. „Wenn die Kirche gewisse Gläubige heiligspricht, das heisst feierlich erklärt, dass diese die Tugenden heldenhaft geübt und in Treue zur Gnade Gottes gelebt haben, anerkennt die Kirche die Macht des Geistes der Heiligkeit, der in ihr ist. Sie stärkt die Hoffnung der Gläubigen, indem sie ihnen die Heiligen als Vorbilder und Fürsprecher gibt.“12

3. Eine Wolke von Zeugen: die Schar heiliger Fürbitter

In vielen unserer Gottesdienste, nicht zuletzt auch bei der Feier der heiligen Messe, kennen wir das, was wir Fürbitte nennen. Wir legen bei Gott Fürbitte ein für Lebende und Verstorbene. Wir verrichten Fürbitten in vielfältigen Anliegen von Kirche und Welt. Wir berücksichtigen in unseren Fürbitten all jene, die in der Kirche und in der menschlichen Gesellschaft insgesamt eine besondere Stellung und damit eine hohe Verantwortung innehaben. Wir empfehlen in den Fürbitten der Liebe Gottes Menschen verschiedenen Alters, verschiedenen Standes und in verschiedenen Lebenssituationen. Wir beziehen in die Fürbitten alle geschaffenen Wirklichkeiten ein, weil wir uns mit allem und mit allen in der Abhängigkeit von Gott wissen und seiner liebenden Zuwendung und Hilfe bedürfen. Als Fürbitter im Pilgerstand des irdischen Lebens empfinden wir uns zurecht als schwach und unzulänglich. Uns haftet sozusagen immer eine Erdenschwere an, die auch in unsere Art des Fürbittens hineinwirkt. Da gibt es bekanntlich Kurzsichtigkeit, Oberflächlichkeit, Trägheit und viele solche Einschränkungen und Mängel mehr. Da können sich auch viel Eigenwille und Eigennutzen einschleichen; da kann sogar übersehen werden, was eigentlich Gott gefällt und dem Willen Gottes entspricht.

Nun haben wir - Gott sei Dank! - unsere Fürbitter im Himmel. Ihr Eintreten vor Gott für uns und unsere Anliegen ist stets lauter, gottgefällig und nur auf eines bedacht, nämlich dass Gottes Wille geschehe. Sie sind als jene, die in der Anschauung Gottes leben, un­sere fehlerlosen und unfehlbaren Fürsprecher am Thro­ne Gottes. Diesen gilt in der katholischen Kirche seit jeher eine besondere Aufmerksamkeit. Die Verehrung und Anrufung der Seligen und Heiligen des Himmels gehört zum wunderbaren Schatz des geistlichen Lebens unserer Glaubensgemeinschaft. Wer das Heiligenverzeichnis der Kirche zur Hand nimmt, wird immer neu darüber erstaunt sein, wie viele Freunde Gottes wir im Himmel haben, die zugleich auch unsere Freunde sind. Mehr noch: es sind unsere Verwandten, die uns im Glauben vorangingen und nun die beseligende Gottesschau erleben dürfen. Auch wenn ihre unsterbliche Seele noch jenes Augenblicks harrt, da der Herr am Jüngsten Tag die Seele mit dem Auferstehungsleib vereinigt, hindert es die Seligen und Heiligen des Himmels keineswegs daran, für uns mit ihrer Fürbitte bei Gott wirksam einzutreten. Heiligenverehrung und Anrufung der Heiligen sind ein wesentlicher Bestandteil unseres katholischen Glaubenslebens. Sie gehören gewissermassen zu dessen Lebendigkeit, vollzieht sich dieses Leben doch in der Grossfamilie Gottes, zu der gerade auch die Kirche des Himmels gehört. Die grosse Schar heiliger Fürbitter auf Gottes Seite und ebenso auf unserer Seite zu wissen, lässt uns nie in eine unüberwindbare Einsamkeit fallen. Auch wenn uns menschliche Ergänzung oder menschliche Zuwendung fehlen sollten - was Gott freilich verhüten möge -, bleibt immer noch die bergende Gemeinschaft mit jener unsichtbaren Welt der Gottesfamilie, zu der die Engel, die Seligen und Heiligen des Himmels und auch die Seelen im Fegfeuer, also am Ort der Läuterung und Reini­gung, gehören.

Allen voran betrachten wir die Gottesmutter Maria und wenden uns an sie als an die grösste Fürsprecherin bei Gott. Sie hat im Heilswerk Gottes als Königin des Himmels und als Königin aller Engel und Heiligen­ einen herausragenden Platz. Sie ist geradezu Urbild und Vorbild der Kirche überhaupt. Zusammen mit der himmlischen Gemeinschaft der Engel und Heiligen ist sie uns ganz nahe. Ihre Fürsprache bei Gott und die Fürbitte der Heiligen schenken uns Mut, Trost, Hilfe und Heilung. Dass sich Gott in seiner Liebe zu uns Menschen ihrer wunderbar bedient, das glauben wir. Wie und wann er sich ihrer bedient, bleibt uns oft verborgen. Dass wir auf die Wolke der Zeugen ganz und gar vertrauen dürfen, ist uns gewiss. Wie und wann sie ihren Auftrag vollziehen, ist uns nicht immer zugänglich. Sicher ist jedoch, dass wir eine unzählbare Schar von Fürbittern haben und sie beanspruchen dürfen. Sie helfen uns dabei, den Glaubensweg so zu gehen, dass auch wir das ewige Ziel erlangen: die himmlische Vollendung. „Die Zeugen, die uns in das Reich Gottes vorausgegangen sind, besonders die von der Kirche anerkannten «Heiligen», wirken an der lebendigen Überlieferung des Gebetes durch das Vorbild ihres Lebens, die Weitergabe ihrer Schriften und durch ihr gegenwärtiges Beten mit. Sie betrachten Gott, loben ihn und sorgen unablässig für jene, die sie auf Erden zurückliessen. Beim Eintritt in «die Freude ihres Herrn» wurden sie «über vieles gesetzt». Ihre Fürbitte ist ihr höchster Dienst an Gottes Ratschluss. Wir können und sollen sie bitten, für uns und für die ganze Welt einzutreten.“13

Es stimmt sehr nachdenklich, wenn wir feststellen müssen, dass in so manchen Kirchen die bildlichen Darstellungen der Heiligen aus dem Blickfeld zu verschwinden hatten. Wie oft wurden doch in den letzten Jahrzehnten Kirchen und Kapellen der heiligen Bilder und Statuen beraubt, obwohl die Kirche in ihren sakralen Ausdrucksformen gerade durch solche Bilder und Statuen die Wolke von Zeugen veranschaulichen will, „welche sich weiterhin um das Heil der Welt sorgen und mit denen wir, vor allem in der sakramentalen Feier, vereint sind.“14

Nicht nur die bildlichen Darstellungen, sondern auch in den allermeisten Fällen unsere Vornamen sind ein beständiger Hinweis auf diese Wolke von Zeugen. Wir tragen in aller Regel den Namen eines Heiligen oder einer Heiligen, den Namen eines Erzengels oder sogar den Namen der Königin aller Engel und Heiligen. Name - so sagt man - verpflichtet. Das gilt auch für unsere persönlichen Rufnamen, die wir in liturgischem Zusammenhang bei unserer heiligen Taufe erhalten haben. Mitunter sind es sogar mehrere solche Namen, die uns gegeben wurden. Dabei spielen gewiss oft auch solche aus der Familientradition eine Rolle. Wenn es sich um Heiligennamen handelt, wollen wir unser Augenmerk nicht nur auf allfällige verwandtschaftliche Verbindungen richten, sondern vielmehr auf die heiligen Gestalten selbst, deren Namen wir tragen. Jeder von uns sollte ein echtes Interesse daran haben, seinen Namenspatron oder seine Namenspatronin kennenzulernen. Mehr noch: es soll zwischen diesen und uns eine vertrauensvolle Freundschaft bestehen, so dass wir deren Hilfsbereitschaft und Fürbitte gerne in Anspruch nehmen. Zudem werden wir durch ihr vorbildliches Leben, Wirken und Sterben Anregung und Bestärkung darin erfahren, uns selber noch mehr auf Gott und seinen Heilswillen auszurichten, uns noch besser und selbstloser für das Wohl der Menschen und der ganzen Schöpfung einzusetzen, uns mit noch grösserer Hingabe unserer eigenen Berufung zu widmen.

Wenn wir an die Wolke von Zeugen denken: an die Schar heiliger Mutmacher, an die Schar heiliger Vorbilder, an die Schar heiliger Fürbitter, dann ist für uns der bewölkte Himmel nicht Verdrängung des Sonnenlichtes, sondern schattenspendende Verhüllung jener Sonne, die in unserem Herzen aufleuchten soll: Jesus Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, den uns Maria, die Morgenröte des Heils, geboren hat. In der Hitze des Alltags ermöglicht uns die Wolke der Zeugen eine wohldosierte Beleuchtung. Wir sollen nicht geblendet und schon gar nicht verblendet durchs Leben gehen, sondern im Lichte der Wahrheit und der Liebe, die in den heiligen Zeugen Christi aufleuchten. Die göttliche Sonne offenbart so im weiten Spektrum der in Gott Vollendeten den unermesslichen Reichtum ihrer Leuchtkraft.

Von Herzen wünsche ich uns allen ein erneutes und noch grösseres Vertrauen in die Wolke von Zeugen, die uns nichts verdunkelt, sondern alles so erhellt, dass wir erleuchtet werden „zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Chris­ti.“15

Schellenberg, 4. Februar 2011

✠ Wolfgang Haas, Erzbischof von Vaduz

 

1           Papst Johannes Paul II., Ansprache an die Jugend am 8. September 1985 vor der Dux-Kapelle in Schaan / Fürstentum Liechtenstein

2           Kol 3,12a

3           Kol 3,12b-14

4           KKK Nr. 826

5           Hebr 12,1-3

6           Zitiert nach Herbert Ritter von Wurmb, Maria De Mattias. Ein Frauenleben im Dienste des Höchsten, Schaan 1965, S. 57

7           Ebda., S. 68

8           Fragmente aus den Briefen von Maria De Mattias, Rom o.J., Nr. 358

9           Ebda., Nr. 410

10         S. Giovanni Bosco, Epistolario 4

11         Vgl. Papst Johannes Paul II., Apostolisches Mahnschreiben „Christifideles laici“ vom 30. Dezember 1988, 17,3

12         KKK, Nr. 828

13         KKK, Nr. 2683

14         KKK, Nr. 1161

15         2 Kor 4,6